Übersicht 2002 | zurück | weiter |

Syrakus-Catania / Juli 2002

Parties am Hungerkai und Köstlichkeiten vom Fischmarkt

Am Donnerstag, den 18. Juli, starten wir morgens um 0800 Uhr zur Überfahrt von Gozo nach Sizilien. Die letzten Tage pfiff es noch aus der falschen Richtung, aber jetzt paßt's. Heute abend sind wir wieder im gelobten Land der Pasta und Pesce!! Die Vorhersage ist ideal: "Northwest 3-4, sea moderate". Das bedeutet ideale Bedingungen. Theoretisch. Praktisch dagegen kommen wir in den Genuß der gesamten Bandbreite der sommerlichen Beaufort-Skala: nach der halben Strecke steigt der Windanzeiger stündlich um ein Beaufort. Bei einem angenehmen Lüftchen von 3 Bft sind wir gestartet, und bei Windstärke 8 erreichen wir Sizilien!

Unterwegs vertreiben wir uns die Zeit, indem wir die unterschiedlichen Wellentypen anhand ihrer variantenreichen Erscheinungsformen klassifizieren: Wir entdecken darunter die "gemeine Bodenwelle", den "Magenheber", den "Cockpitspotzer", den "flotten Dreier", die "Überraschungswelle"... Diese Aufzählung ist bei weitem nicht vollständig und bedarf sicherlich noch der Ergänzung.

Bei dieser Überfahrt wird uns auch ein oft übersehener Zusatznutzen des Bimini klar (das ist der Sonnenschutz, der an einer Art Zeltgestänge über dem Cockpit aufgebaut ist). Unter leistungstechnischen Gesichtspunkten ist ein Bimini natürlich nur was für Bequemsegler ("Schattensegler"). Und es zwingt auch dazu, dass der Baum relativ hoch oben angebracht werden muß; das wiederum bringt eine schlechte Druckpunktlage und läßt nur eine geringere Segelfläche zu. So gesehen also seglerisch nur nachteilig. Doch seinen großen Vorteil spielt das Teil dann aus, wenn du vor dem Wind segelst und versehentlich der Baum mal schlagartig und mit voller Wucht überkommt ("Patenthalse"). Dann nämlich - unter Lebenserhaltungsgesichtspunkten - ist ein hoch angebrachter Baum unbezahlbar! Andernfalls würde den eventuell im Cockpit "Hinterbliebenen" schnell klar, weshalb die Briten den Baum auch liebevoll "widowmaker" nennen ...

Doch zurück zur Geschichte: Kaum runden wir das Südkap, Capo Passero, nehmen Wind und Welle mit einem Schlag ab. In der neuen Marina von Marzamemi laufen wir eine Stunde später bei Flaute ein. Es ist wieder mal unglaublich, in welch kurzer Zeit sich die Bedingungen völlig ändern können. Trotz Reffs waren wir schnell unterwegs: 9 Stunden Überfahrt mit einer Durchschnitts-(!)geschwindigkeit von 6,3 Knoten! In der noch im Aufbau befindlichen, weit abseits gelegene, Marina von Marzamemi nehmen sie unverschämte 44 Euro für den Liegeplatz; wir bleiben widerwillig, weil es schon spät ist und wir mal in Ruhe ausschlafen wollen.

Am nächsten Morgen starten wir früh und segeln Syrakus entgegen, der Stadt, die vor zweieinhalbtausend Jahren einmal eine der mächtigsten des Mittelmeerraumes war. Der Wind kommt achterlich, wir baumen aus und segeln unter Vollzeug "Schmetterling". Unterwegs begleitet uns die größte Delfinschule, die wir bisher gesehen haben: bestimmt 20 dieser Prachtexemplare spielen mit Coco, tauchen unter ihr hindurch, zischen vor dem Bug hin und her und vollführen Freudensprünge.


Herrliches Schmetterlingsegeln!

In Syrakus liegen wir am "Hungerkai". Der Liegeplatz kostet nichts, und obendrein kriegt man noch gratis Kontakt zur italienischen Obrigkeit in ihren vielfältigen Formen: Carabinieri, Guardia Costiera, Polizia Municipale, Guardia Finanza. Wir versuchen ja seit einiger Zeit, die teuren Marinas zu meiden, und sind damit eigentlich meist recht gut gefahren. Oft ist es auch schöner, und so trifft man auch eher die interessanten Seglertypen. Von denen gibt's meist auch ausgezeichnete Spartips. So haben wir zum Beispiel von einem Discount-Großmarkt erfahren, wo wir dann per Dingi recht günstig gebunkert haben (am Rückweg wären wir mit der schweren Fracht im Gummiboot fast abgesoffen!).



In Syrakus liegt Coco eine Woche am "Hungerkai"!

Ortigia, die Altstadt von Syrakus, liegt auf einer Halbinsel und bezaubert uns schnell. Die Stadt strahlt eine freundliche, heitere Atmosphäre aus. Die Häuser aus hellgelbem Stein. Die verwinkelten Gassen, in denen Sonne und Schatten ihre Lichtspiele an den Wänden malen. Der Minervatempel aus griechischer Zeit, auf dessen - sichtbare - dorische Säulen die christliche Kathedrale mit ihrer barocken Fassade gebaut wurde. Die Piazza Duomo mit Cafes und Restaurants in abendlicher Illumination, ein optischer Leckerbissen. Wir bleiben eine gute Woche, viel länger als geplant.


Die Barockfassade des Doms von Syrakus!

Am letzten Abend in Ortigia schmeissen wir gleich zwei Parties an Bord. Wir sitzen an Deck, die Sonne geht unter, die Promenade belebt sich. Gerade sind wir mit dem Abendessen fertig, als ein Paar von der Pier herüberwinkt. Die beiden hatten wir auf der Insel Comino kennengelernt, wo sie mit ihrer schönen Amel Santorin neben uns lagen. Sie segeln unter tschechischer Flagge, eine Seltenheit. Heute sind sie hier in Syrakus angekommen. Die ideale Gelegenheit, unsere gestern neu gekauften Weingläser einzuweihen; wir laden sie zu uns an Bord ein. Nach einer sehr netten Stunde verabschieden sie sich, sie wollen morgen schon früh weiter Richtung Griechenland. Kurz darauf unterhalten wir uns mit dem Skipper der französischen Yacht, die neben uns liegt. Da er ein Moped dabei hat, hat er heute ein paar Dinge für uns besorgt. Wir nutzen die Gelegenheit der Übergabe, um auch gleich noch die restlichen der acht Gläser einzuweihen. So wird es ein schöner, langer Abend.

Am nächsten Morgen, mit schwerem Kopf, raffen wir uns auf. Nach 7 Tagen in dieser schönen Stadt wollen wir weiter. So ignorieren wir die Gewitterwarnungen, der Himmel sieht recht gut aus. Wir setzen Segel. Es kommt was kommen muss: Nach ein paar Stunden schönem Segeln mit ausgebaumter Genua sehen wir recht voraus am wolkenverhangenen Himmel, wie sich eine schulbuchmäßige Gewitterwolke aufbaut. Oben schneeweiß, unten rabenschwarz. Wir werden aktiv. Gerade noch rechtzeitig schaffen wir es, den Genuabaum zu bergen und das Vorsegel zu reffen, da dreht der Wind schlagartig und kommt gegenan. Und nicht zu knapp. Wir haben zur Zeit einen Gast an Bord, Hertas Bruder. Für ihn ist es der erste Tag auf einem Segelschiff. Er besteht seine Seetaufe glänzend, ist absolut seefest. Die Wellen, die gegen das Schiff anrennen, und die Gischt, die über Coco hinweggeht, beeindrucken ihn nicht sonderlich (mich schon...).


Gewitterwolken über Augusta

In Regenzeug gekleidet, retten wir uns - bei mittlerweile 8 Bft (das wird bei uns langsam Standard) - vor dem herannahenden Gewitter gerade noch in eine einigermaßen geschützte Bucht, da geht es auch schon los. Wir beobachten, wie sich rundum aus schwarzen Wolkenbergen Blitze entladen. Es leuchtet und kracht, eine graue Wand wälzt sich uns entgegen. Die mächtige Silhouette des Ätna verschwindet darin, und dann schnell nacheinander die Hügel, die Häuser, das Ufer, das Wasser. Sicht Null, Regen prasselt herunter, es hagelt. Vor zwei Ankern liegen wir gut, wir verziehen uns unter Deck. Gegen Abend kehrt die Sonne zurück. Coco glänzt frisch nach der Dusche. Es ist kühl, ich nutze die Gelegenheit und verpasse ihr endlich die Namens-Schriftzüge auf dem Baum, die wir in Syrakus haben plotten lassen. Sehr schick, und endlich wird man uns überall erkennen.

Wir lesen, hören Musik, ich pflege die Coco-Homepage. Wir wollen abwarten, bis das Mistwetter vorbei ist. Am Abend und am nächsten Morgen tickert regelmäßig unser Navtex, und immer wieder der gleiche Forecast: "gale warning, wind NW force 7, isolated thunderstorms".

Über die Industriestadt Augusta, in deren Nähe unsere Bucht liegt, sagt unser Hafenhandbuch folgendes: "Selbst mit allergrößtem Wohlwollen kann man diesem Hafen nichts Anziehendes abgewinnen...". Besichtigung fällt also aus.

Rundum schwarze Wolken, laufend miese Forecasts, und die Tatsachen bestätigen die Vorhersagen. Dennoch, am zweiten Morgen hält es uns nicht mehr. Wir gehen ankerauf. Von Hand, weil die Batterien fast leer sind (Herta lädt nicht gern am Ankerplatz, weil die Maschine so laut ist...). Ich mache also Frühsport, zerre die 40 Meter Edelstahl an Bord, und wir machen uns auf den Weg. Das Ziel ist Aci Trezza; den netten Ort mit dem Hafen haben wir von der Heimfahrt im letzten Jahr noch in guter Erinnerung. Die dunklen Wolken bleiben in einiger Distanz querab, der Wind schläft, wir haben Glück. Bis wir ankommen. Die gigantischen schwarzen Felsbrocken, die der geblendete Zyklop damals dem flüchtenden Odysseus nachgeschmissen haben soll, liegen vor dem kleinen Hafen. Es wimmelt von den Motorbooten der Sonntagsausflügler aus dem nahen Catania. Und der Hafen ist bis auf den letzten Platz belegt mit Fischerei und Gummibooten. Keine Chance.

Dummerweise ist unser Wassertank fast leer, zum Bunkern hatten wir fest mit Aci Trezza gerechnet. Die Alternative lautet Catania. Das Hafenhandbuch sagt darüber: "...großer, schmutziger Hafen...". In der zweitgrößten Stadt der Insel stehen aber zumindest die Chancen gut, einen Elektriker zu finden, der sich mal die Ankerwinsch ansieht, die mittlerweile ihr Leben völlig ausgehaucht hat.

Wenn schon, denn schon, denken wir uns und gehen am Abend mal wieder schön essen. "Schön" ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber "gut"! Direkt am Fischmarkt liegt eine kleine, dunkle Trattoria, die bekannt ist für ihre Fischspezialtäten. Dort genießen wir herrliche Vorspeisen: zarte gebackene Kalamaren, rohe Krabben in Öl und Limone eingelegt, Oliven in saurem Gemüse, Caponata (ein süßsaures Gemüsegericht aus Auberginen, Tomaten, Kapern, Pinienkernen und Knoblauch mmmh...) und diverse andere feine Sachen. Der ausgezeichnete Fisch zum Hauptgang rundet das Mahl ab. Gut dass wir telefonisch reserviert haben, wir hätten sonst sicher keinen Platz bekommen, es ist rappelvoll.

Solcherart auf den Geschmack gekommen, begeben wir uns am folgenden Morgen auf den Fischmarkt. Es geht handfest zu. Die Stände biegen sich unter der feuchten Last, die Kunden drängen sich, die Händler schreien ihr Angebot hinaus. Neben Schwertfischköpfen mit meterlangen, senkrecht in den Himmel ragenden Schwertern liegen alle denkbaren Sorten fangfrischer Fisch, Brassen, Knurrhahn, Barsche, Tintenfisch, Sardinen, sogar Muränen; es gibt Berge von Muscheln in allen Variationen, schwarz, weiß, dunkelbraun, hellbraun, Seeigel im Ganzen oder geöffnet, winzige Krabben, die roh mariniert werden, jede Art von Meeresfrüchten und Schalentieren. Wir kaufen drei Fische für's Abendessen an Bord, sie werden gleich vor Ort geputzt, die Abfälle landen auf dem Kopfsteinpflaster. Der Markt ist ein Fest für Auge und Ohr, wenn auch vielleicht etwas heftig zu dieser morgendlichen Stunde.


Auslagen am Fischmarkt von Catania

Bei Granite und Brioche verarbeiten wir die Eindrücke in einem nahe gelegenen Café. Granita ist eine sizilianische Spezialität, ein schmelzendes Wassereis im Glas, farbenfroh, fruchtig, kühl und süss. Ein Hochgenuß zusammen mit dem warmen Hefegebäck!

Ihr merkt es: längst haben wir uns mit Sizilien versöhnt! Was sind schon schlechte Häfen und unsichere Ankerplätze, wenn dahinter solche Köstlichkeiten auf den Segler warten. Wir haben die Insel schätzen gelernt, mit ihren vielfältigen Eindrücken, ihrem Lärm, ihrer Lebenslust und ihren prallen Gaumenfreuden. Der zwiespältige Eindruck des letzten Jahres hat sich in Nichts aufgelöst; das deprimierende Fisch-Couscous (s. Cocomail 7/2001) ist vergessen!

Übersicht 2002 | zurück | weiter |