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Taormina-Äolische Inseln / August 2002

Nahkampftage auf den Inseln des Windgottes

Vielleicht erinnert sich der eine oder andere: Gegen Ende unserer letzten Cocomail gab es einen kleinen, unscheinbaren Nebensatz bezüglich Problemen mit unserer Ankerwinsch. Diese Probleme bescheren uns nun einen unerwartet verlängerten Aufenthalt im Hafen von Catania.

Die Winsch gibt keinerlei Lebenszeichen mehr von sich. Die elektrischen Anschlüsse sind okay, bis zum Motor ist alles im grünen Bereich; jedes einzelne Volt kommt an wo es hingehört. Mittlerweile zum Schiffsmechaniker avanciert, baue ich also - bei 35 Grad im Schatten kopfüber im Ankerkasten hängend - den schweren Elektromotor aus. Dann schraube ich den gekapselten Deckel auf, und ans Tageslicht quillt eine kompakt verklebte, braun-silberne Masse: Metallspäne, Kohlereste, Sand, Salz. Das sieht nicht gut aus! Wenig optimistisch schleppe ich das Teil hinüber zum Schiffszubehörhändler. Nach einem kurzen Blick darauf ziehen sich die Augenbrauen des Sizilianers zusammen, die Stirn legt sich in Falten, der Blick trübt sich ein, und es kommt die unausweichliche Diagnose: "Morto!!" An eine Reparatur ist nicht mehr zu denken. Ein Original Ersatzteil ist nicht am Lager. Ich schlage vor, das Teil per Luftexpress aus Deutschland kommen zu lassen (SVB - danke für die ausgezeichnete, telefonische Unterstützung!) Doch so einfach gibt sich die sizilianische Improvisationskunst auch wieder nicht nicht geschlagen. Nur mit Mühe kann ich Signore Guiseppe, dem hilfsbereiten Manager der Magazzini Generali, den Vorschlag eines selbst gebauten Ersatzmotors ausreden. So stürzt man sich schließlich per Vespa ins Verkehrsgewühl Catanias auf der Suche nach dem Original. Am Abend erreicht uns zumindest eine Art Erfolgsmeldung: Der Motor kann bestellt werden, in drei Tagen könnte er da sein! Nun, so haben wir Gelegenheit, uns die Sehenswürdigkeiten Catanias intensiver anzusehen...


Wie kann man nach so wenigen Jahren nur schon so alt aussehen?
(gemeint ist der Motor ...!)

Signore Giuseppe wächst uns ans Herz. Er ist hilfsbereit und zuverlässig - und er leidet mit uns. Am 1. August, dem erwarteten Ankunftstermin des Ersatzteils, steht er persönlich morgens auf der Pier. Mit betrübter Mine teilt er uns mit, dass sich - "mi dispiace molto moltissimo" - die Lieferung um einen Tag verzögern wird. Er ist so untröstlich, dass er uns anbietet, mit seinem Auto für uns zu besorgen, was immer wir aus dem Supermercato brauchen. Wir wissen gar nicht, wie wir ihm danken sollen. Der Mann weiss, wo Segler der Schuh drückt! Natürlich nehmen wir die großzügige Offerte dankbar an, und so stapelt sich am Nachmittag der schwere Getränkenachschub palettenweise im Vorschiff.

Am nächsten Mittag dann aber die gute Nachricht: das Teil ist da! Sofort bricht an Bord hektische Betriebsamkeit aus. Winschmotor einbauen, Schiff aufklaren, Wasser bunkern und ablegen sind in dreißig Minuten erledigt! Wir sind wieder auf See! Giardini Naxos, das kleine Seebad am Fuße Taorminas, ist unser Ziel. Im Schutz der massiven Kaimauer fällt abends der Anker auf gut haltendem Sandgrund. Was für ein Gefühl, frei vor Anker, nach sechs Tagen Großstadtmief!

Taormina entpuppt sich wie erwartet als das "Rothenburg Siziliens". Touristenströme pilgern durch die hübschen Gassen des Ortes und ergießen sich über die Ränge des antiken griechischen Theaters. Den atemberaubenden Blick vom Theater über den Ort Taormina, die Bucht und das Meer muß man allerdings wirklich einmal erlebt haben! Auch dem idyllischen, über Taormina thronenden Bergnest Calstelmola statten wir noch einen Besuch ab. In einem Café, das wie ein Adlerhorst am Berg klebt, erfrischen uns bei unserer heiß geliebten, eiskalten Granita und lesen mal wieder eine deutsche Zeitung: Politiker-Rücktritte, Unternehmenszusammenbrüche, Kriegsgeschrei... Es tut gut, selten Zeitung zu lesen!




Taormina

Mit der obligatorischen Gewitterwarnung im Gepäck machen wir uns am 4. August auf den Weg nordwärts, nach Messina. Der ebenfalls vorhergesagte Südwind entpuppt sich als gegenan stehender Nordwind, naja, ist ja nichts Neues. Mittags erreichen wir Messina, die Wetterbedingungen sind mittlerweile annehmbar, und so setzen wir Kurs auf die berüchtigte Meerenge. Mit atemberaubenden 10 Knoten in der Spitze schießen wir schließlich durch den Schlund, hinweg über Wasserwirbel und Strudel, durch kochendes Kabbelwasser, Strömungen und Gegenströmungen. Mächtig beeindruckend! Wir sehen einige Schwertfischfänger mit ihren 20 Meter hohen Turmaufbauten, können uns denen aber nicht recht widmen, so schnell sind wir unterwegs! Ein, zwei Mal weichen wir Fährschiffen aus, die Sizilien mit dem Festland nahezu im Minutentakt verbinden und aus allen Richtungen auf uns zuzustürzen scheinen. Dann sind wir durch.


Die Straße von Messina liegt im Kielwasser

Das Tyrrhenische Meer empfängt uns mit spiegelglattem Wasser ...und Flaute. Zur Begrüßung vollführt ein Schwertfisch nahebei filmreife Sprünge. Heute läuft alles gut, und so lassen wir Sizilien links liegen und nehmen direkt Kurs auf Isola Vulcano. Sechs Stunden später erreichen wir die erste der äolischen Inseln (auch liparische Inseln genannt) im Licht der Abenddämmerung. So rechte Freude kommt aber nicht auf. Der vorgesehene Ankerplatz (es gibt nur diesen für die heutige Windrichtung) birgt nämlich einige Überraschungen für uns. Zunächst wäre da die weiße Mauer aus Yachten zu nennen, die uns das ersehnte Ziel versperrt. Als wir das Feld der vor Anker liegenden Seglerkollegen erreichen, staunen wir nicht schlecht: da wird auf 30 bis 50 Metern Wassertiefe geankert, in Abständen, die uns die Haare zu Berge stehen lassen! Hatte in unserer Seekarte nicht was von 8 m gestanden? Wir schlängeln uns also hindurch durch das enge Feld, und stehen schließlich vor der zweiten Überraschung: einer Badeabsperrung! Dahinter wären dann wohl unsere 8 Meter zu finden! Also müssen wir wohl oder übel draußen bleiben. Jetzt verstehen wir auch, weshalb die hier alle so haarsträubend eng liegen. Es geht schlicht nicht anders, will man nicht seine 50 Meter Ankerkette frei hängend über dem tiefen Meeresgrund werfen. Also quetschen auch wir uns noch hinein, und tun's den anderen nach, indem wir alle Fender raushängen. Ein kurzes Stoßgebet noch, dann liegen wir. Die Italiener sind das gewohnt, da regt sich keiner auf, einer passt immer noch mit rein. Wind darf heute Nacht aber keiner aufkommen! Landgang ist undenkbar, wir bleiben an Bord und verzichten auf die berühmten Schwefelschlammbäder. Den unverkennbaren Schwefelgeruch bekommen wir gratis ...


Der Mastenwald am Ankerplatz auf Isola Vulcano

Um fünf Uhr morgens bin ich blitzartig an Deck, als hinter uns eine Sirene ertönt. Doch - oh Glück - das galt nicht uns. Da kollidieren gerade zwei Yachten. Ein Anker hat nicht gehalten, und treibenderweise hat der Verursacher gleich noch den Anker des hinter ihm liegenden Schiffs mit rausgerissen. Im Dunkel des frühen Morgens erkenne ich dahinter einige weitere Fahrtlichter, die sich im Kreise bewegen; also hat auch andere das Schicksal schon ereilt. Gut, dass wir uns so weit nach vorn reingezwängt hatten! Dennoch, schon früh verlassen wir diesen Platz, und segeln hinüber zur Nachbarinsel Lipari, der größten des Archipels. Vor dem Hauptort sind neuerdings Schwimmstege ausgelegt; wo man bis vor kurzem noch ankern konnte, kann man jetzt für teures Geld im Schwell liegen und die Fender quälen. Wir verzichten darauf. Wir finden aber in der näheren Umgebung keine Ankertiefen unter 20 Metern, so drehen wir ab und gehen um die Osthuk herum. Gleich dahinter ankern wir einsam (!) und halbwegs geschützt auf 6 m! Na bitte, geht doch!

Einmal mehr erleben wir den Unterschied zwischen 33 Grad Celsius mit und ohne Wind! Wir braten in der Hitze, lesen. Unsere Buchtipps für Sizilieninteressierte: "Der Leopard" von Guiseppe di Lampedusa und "Sizilianische Vendetta" von Frank Viviano. Diese beiden Romane vermitteln ein gutes Verständnis für die sizilianische Lebens- und Denkweise.

Um Coco treiben kleine weiße Kügelchen im Wasser. Ich fische ein paar heraus, es ist Bimsstein, leichter als Wasser und vulkanischen Ursprungs. Des Nachts beobachten wir oben auf dem Vulkan, in etwa 1000 m Entfernung etwas, was wir per Fernglas nur als Vulkanausbruch deuten können. Etwa eine Stunde lange brodelt und spritzt es feurig in die Höhe, glühende Lichtfahnen zischen in die Luft. Angeblich sollen die Vulkane auf der Insel Lipari doch schon vor Jahrtausenden ihre Tätigkeit eingestellt haben...?

Wir besuchen die Ortschaften Canneto und Lipari, bewundern im archäologischen Museum die Funde an antiken Vasen, Amphoren und Figuren. Am Nachmittag lassen wir uns mal Landluft um die Nase wehen, mieten einen Motorroller und umrunden die Insel. Das ist in zwei Stunden locker erledigt. Zurück an Bord stellen wir fest, das Baro ist kräftig gefallen. Und so wechseln wir uns die Nacht und den folgenden Tag im Zweistundenrythmus mit der Ankerwache ab, während Coco von peitschenden Fallböen hin- und hergedrückt wird und wild an der Ankerkette zerrt. Gut, dass hier nur wenige Schiffe liegen und genügend Raum zum Schwojen ist. Um nichts in der Welt möchten wir jetzt tauschen mit dem Ankerplatz auf Vulcano.

Nach zwei mehr oder weniger durchwachten Tagen und Nächten an Bord mit Sturmböen, Regen und Schwell siedeln wir um zur Schicki-Insel Panarea. Die Südbucht scheint uns einladend bei dem vorherschenden Nordwind. Das denken aber wohl auch andere. Und so liegen wir am Nachmittag vor Panarea, und die Bucht wird voller und voller. Immer wenn wir denken, jetzt geht wirklich nichts mehr, kommt garantiert noch einer und zwängt sich rein. Keinen kümmert die Platznot, dafür gibt's ja schließlich die Gummifender. Auf jedem Boot an die zehn Mann. Musik volle Lautstärke. It's Partytime. Es swingt und groovt auf allen Booten. Der Hit ist eine Beneteau, ca. 13 Meter lang, auf der sich sage und schreibe mehr als 35 (fünfunddreissig) Mann tanzend und singend tummeln!! Vielleicht ein Belastungstest, den die Werft hier durchführen läßt...?


Volle Buchten auch auf Isola Panarea


Fünfunddreißig Italiener in Partystimmung

Wir liegen dicht an dicht, haben alle Hände voll zu tun, uns die Nachbarn fern zu halten. Es ist halt doch ein Unterschied, ob es das eigene Schiff ist oder ein Charterschiff... Wieder mal ist Landgang ausgeschlossen. Erst gegen Abend lichten sich die Reihen, und wir vertreten uns die Beine in dem hübschen Inseldörfchen, wo sich die Schönen und Reichen ein Stelldichein geben. Zwei Bier zehn Euro. Noch Fragen?

Der nächste Tag ist Badetag. Zwischen den vorgelagerten Miniinselchen kann man gut baden und schnorcheln. Beim Schnorchelgang sehen wir Unterwasserfumarolen, Luftbläschen aus vulkanischer Tätigkeit, die aus dem Boden hervorquellen und zur Wasseroberfläche aufsteigen.

Weiter geht es zur Insel Salina. Sie soll die malerischste und grünste Insel des Archipels sein. Ganz sicher ist es jedenfalls die berühmte Insel von Jim Knopf. Schon von weitem erkennt man die beiden perfekt geformten Kegel, die direkt aus dem Meer bis auf fast 1000 Meter Höhe aufragen. Wenn das nicht die Insel mit zwei Bergen ist...!


"Eine Insel mit zwei Bergen..."

Wir ankern vor der Ostküste. Innen im kleinen Hafen liegen die Yachten in Zwei- und Dreierreihen. Nicht im Päckchen, hintereinander! Die erste Reihe mit Muringleinen an der Pier, die nächste vor deren Bug mit Anker und Heckleinen. Und der Rest liegt kreuz und quer wo noch Platz ist. Es sieht aus wie auf einem süditalienischen Parkplatz. Wir kommen kaum noch mit dem Gummiboot durch die Marina an Land. Der Ort Santa Marina Salina ist hübsch und lebhaft, es gefällt uns. Hier könnten wir mal ein paar Tage bleiben. Morgen wollen wir erst mal die Insel mit dem Scooter erkunden. Doch dazu soll es nicht mehr kommen...

Was die lärmenden und drängelnden Urlaubsmassen (selber Schuld, wer in der Ferienzeit italienische Inseln besegelt!) nicht erreicht haben, schafft jetzt das Wetter: Nach sechs Tagen mit miserabler Wind- und Wetterbilanz verlassen wir die Liparischen Inseln fluchtartig. Als ich morgens einen Blick auf's Baro werfe, glaube ich es erst nicht: Schon wieder Keller!! Tiefststand. Abgerutscht über Nacht von 1022 auf 1012. 10 Punkte in 10 Stunden! Und unser Barometer hat uns noch nie belogen. Das heißt, es ist wieder mal heftiger Wind zu erwarten. Als wir dann auch noch dem Navtex heftige Sturmwarnungen entnehmen, ist Schluß mit lustig. Für so was sind die tiefen und völlig ungeschützten Ankerplätze hier nicht geeignet. Herta wirft einen Blick auf die Karte und meint genervt: "Capo Tindari". Eine halbe Stunde später liegen die Inseln des Windgottes Äolus im Kielwasser.

Die Überfahrt ist bei guten 20 Knoten halbem Wind schnell absolviert. Als wir gerade die flache Sanddüne an der Nordküste von Sizilien in Sichtweite haben, sehen wir auch schon die ersten weißen Krönchen auf uns zusausen! Und so ankern wir bei Stärke 7 aus Süd hinter dem sandigen Kap, im guten Schutz dieses von der Natur bereitgestellten Wellenbrechers.


Gewitterwolken über Tindari

Beeindruckende Wolkenungetüme treiben über uns hinweg, schwarz-weiß, unten messerscharf vom Wind abgeschnitten, oben zerrissen und zerfranst. Der Blick hinüber zu den 20 Meilen entfernten, sonst meist vollständig im Dunst verborgenen Liparischen Inseln ist klar wie durch ein Fernglas. Auf Vulcano erkennen wir mit bloßem Auge jede Felsspalte! Der Segler weiß, was das heißt. Die Gleichung lautet: gute Sicht = viel Wind. Man sollte hinzufügen "sehr gute Sicht = sehr viel Wind".

So ist es auch. Wir sehen deutlich die weißen Brecher und die Wellen, die an der Sanddüne vorbeiziehen, die Böen drücken unser Schiff kräftig auf die Seite. Dennoch, das Kap bietet uns guten Schutz, und so warten wir ab. Bei der Gelegenheit retten wir schnell noch einen Ruderer, der zu seinem ankernden Schiff zurück will und mit dem Gummiboot gegen den Wind ankämpft, dabei aber keinen Meter vorwärts kommt. Wir sind selbst erstaunt, um wieviel kräftiger da so ein kleiner 3 PS-Außenborder ist!

Die Wettermeldungen per Navtex werden immer länger. Ein Forecast verbraucht gar einen halben Meter unseres teuren Navtex-Papiers! Den meisten Raum darin nehmen die Sturm- und Gewitterwarnungen ein. Irgendwann wird es den Leuten des Senders aber wohl auch zu dumm, die betroffenen Seegebiete einzeln aufzuzählen, und so lautet die Meldung am 11. August schlicht "Thunderstorm Forecast: over all seas around Italy".

Damit ist das Kapitel Italien für uns nahezu abgeschlossen. Wir warten noch auf einigermaßen günstige Winde, und dann geht es schnurstracks nach Griechenland. Unser geplantes Sizilien-Abschiedskonzert von Joe Cocker live im Griechischen Theater von Taormina müssen wir leider ausfallen lassen. Joe muß es eben ohne uns schaffen ...!

Was für ein August!


Wo ist es nur, das schöne Wetter...?


Regenwetterstimmung


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