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Korfu-Lefkas / September 2002

Gewitterwolken über Seglers Paradies

Wir schreiben den 25. August. Zusammen mit wenigen anderen Yachten liegen wir in der wunderschönen Bucht Ormos Stefanos ganz oben im nördlichen Lefkas Kanal. Unsere Begeisterung über das neue griechische Abenteuer kennt keine Grenzen. Von morgens bis abends hören wir uns ununterbrochen murmeln: "Oh ist das schön hier!" Nach den malerischen Plätzen auf den Inseln Othonoi und Erikoussa haben wir mit Ormos Stefanos wiederum eine wahrhafte Bilderbuchbucht gefunden, gut geschützt gegen die vorherrschenden Winde, mit gutem Ankergrund, und last not least auch mit den in Italien so schmerzlich vermißten Tavernen.


Korfu, Ormos Stefanos

Wer die "Entbehrungen" im italienischen Süden hinter sich hat, was Ankerplätze, Buchten und Tavernen betrifft, wird die Schönheiten hier ganz besonders genießen. Vor Jahren waren wir ja schon einmal hier chartersegeln, und schon damals fanden wir das Revier ganz nett; aber die wirkliche Schönheit erkennt mal wohl erst angesichts der Kontraste. Nun wollen wir das auch ausgiebig genießen, langsam im Zickzackkurs südwärts trödeln und alles mitnehmen, was am Weg liegt und irgendwie nach Ankerbucht aussieht.

Ormos Phtelias ist so eine Bucht, am Festland nordöstlich gegenüber Korfu Stadt. Als wir - dank GPS und elektronischem Kartenplotter - den gut verborgenen Einschnitt finden, fühlen wir uns alsbald wie die alten Entdecker. Einsam und fremd wirkt die Kulisse, schroff und abweisend an Backbord die graubraunen Hänge der unmarkierten Grenzregion.


Die albanischen Berge

Die Einfahrt wird immer enger, unwirtliche Ödnis, abgelöst von dichtem Bewuchs. Nur eine kleine Fischzucht läßt ahnen, dass hier Menschen leben. Es gibt nichts, keinerlei Versorgung, schon gar keine Taverne. Hierher verirrt sich wohl selten jemand. Ist ja auch kein Wunder: die Bucht ist zur Hälfte griechisch, zur Hälfte albanisch. Der englische "Greek Waters Pilot", die Bibel der hiesigen Seglerwelt, rät vom Besuch der Bucht ab wegen der Nähe zu Albanien. Gut für uns, so ist kein anderer Segler hier und wir haben die ganze Bucht für uns allein. Wir ankern, erkunden die Gegend per Beiboot, und lassen die absolute Stille auf uns wirken.


Coco in der einsamen Ankerbucht Ormos Phtelias

Für den nächsten Tag steht ein weiterer Geheimtipp auf dem Plan: Ormos Pagania, wieder eine binnenseeähnliche Bucht am griechischen Festland, nur etwas weiter südlich. Auch diese abseits der üblichen Routen. Kaum jemand scheint sie zu kennen, nur ein verirrter Däne findet mal kurz herein, verläßt uns aber bald wieder.

Nach einer Woche Sonnenschein sind für heute Gewitter vorausgesagt. Wir entscheiden uns daher, eine zweite Nacht zu bleiben. Ein kluger Entschluß, wie sich zeigen soll. 27. August, 22:30 Uhr: So ähnlich muß es Brad und Janet zumute gewesen sein, als sie das Schloß von Rocky Horror im finsteren Wald der Karpaten entdeckten: Den ganzen Tag schon gewittert und regnet es, mal mehr, mal weniger, immer wieder grelle Blitze, unangenehm nah. Längst haben wir sicherheitshalber unsere Batterien vom Bordnetz getrennt, alle Luken dicht gemacht und uns unter Deck verzogen. Während ich diese Zeilen im Zwielicht der Petroleumlampe tippe, zucken die Blitze pausenlos rundherum und knallen Donnerschläge. "360 Grad Sensurroundeffekt" nennt man sowas wohl im Kino. Bald scheint das Zentrum über uns zu sein. Der Nachthimmel ist jetzt fast dauerhaft taghell. Coco erbebt bei jedem Donnerschlag, und wir zittern mit. Wir drehen uns im Kreis, der rotierende Peilkompass zeigt es an. Es schüttet aus Kübeln was das Zeug hält. So ein Gewitter haben wir noch nicht erlebt. Hoffentlich hält der Anker! Wir liegen hier in dieser abgeschlossenen Bucht relativ sicher und wollen gar nicht daran denken, wie es wäre, wenn uns dieses Unwetter ungeschützt erwischt hätte! Dennoch, heute würden wir uns mal die Gesellschaft ein oder zwei anderer Yachties wünschen; die Nähe weiterer Leidensgenossen kann ja mental durchaus hilfreich sein... Andererseits, so haben wir Raum genug zum Schwojen, was wir auch ausgiebig tun. Gegen Mitternacht zieht das Unwetter vorüber, erschöpft fallen wir in die Kojen. Hinterher erfahren wir, dass der Sturm in dieser Nacht nur wenige Meilen weiter südlich Dächer abgedeckt und aufgebockte Schiffe umgestürzt hat.


Interessante Wolkenformationen

Am nächsten Morgen stellt sich beim Blick auf den Navtex-Forecast eine interessante Frage: Was ist schlimmer: "severe" thunderstorm oder "violent" thunderstorm. "Violent" hatten wir gestern, für heute ist "severe" versprochen. Die gewaltigen Wolkenmassen, die sich im Süden auftürmen, sehen vor dem Hintergrund dieser Information sehr beeindruckend aus ... Immerhin: Wir können uns nicht beklagen, dass das Wetter nicht ausgewogen wäre. Gestern kam der Mist aus Südwest, heute kommt er aus Nordost!

Nach der dritten einsamen Gewitternacht wird dann aber die Sehnsucht nach der Zivilisation übermächtig, und wir verlassen die Bucht mit Kurs Korfu. 8 Meilen, eineinhalb Stunden, ein Klacks. So kurze Schläge sind wir gar nicht mehr gewöhnt. Vor Korfu legen wir uns an den laut Handbuch "sehr sicheren" Kai des örtlichen Segelklubs, direkt unterhalb des beeindruckenden venezianischen Kastells aus dem sechzehnten Jahrhundert. "Sehr teuer" hätte das im Handbuch wohl heißen sollen, denn man nimmt uns 20 Euro ab für einen unruhigen Liegeplatz vor eigenem Anker, ohne Wasser, ohne Strom, ohne Service. Von "sehr sicher" merken wir nicht so viel. Nach einem ausgedehnten Spaziergang durch die lebhafte Stadt Korfu machen wir am abend auf Saturday Night Fever und tanzen kräftig Boogie Woogie. An der niedrigen Kaimauer im plötzlich aufkommenden Gewittersturm. Blitze zucken, Donner grollt (langsam wird's langweilig). Aber diesmal haben wir etwas Abwechslung: kräftige Gischtfahnen fliegen auflandig über das Kaimäuerchen, von achtern in unser Cockpit und den Niedergang hinunter. Schöner Salat. Wir verdoppeln die Leinen, verrammeln Luken und Niedergang, gehen downstairs und lassen uns durchschaukeln. Gut, dass wir keine direkten Nachbarlieger haben, so können wir die Rumhüpferei gelassen nehmen, es kann ja nicht viel passieren.

Am nächsten Morgen verlassen wir den Ort bei Flaute. Kurs Syvota-Inseln, ein malerisches, kleines Inselparadies vor der griechischen Festlandsküste. Am frühen Nachmittag kommen wir an und ankern in der eher uninteressanten Monastery Bay, die aber gut geschützt ist gegen nördliche Winde, und nicht weit von den Tavernen.


Ankerbucht am Festland bei den Syvota-Inseln

Wir machen Landgang und sehen uns das kleine Örtchen Murtos an. Einige Lokale, ein paar Supermärkte, zahlreiche Hotels und Guesthouses; recht touristisch, aber ganz nett. Als es zu regnen beginnt, fahren wir per Dingi zu Coco zurück. Lesen ist angesagt und eMails schreiben. Recht fröhlich wird es einmal, als ein PS-starkes Gummiboot volle Kanne durch die Bucht brettert und dabei kräftig Schwell erzeugt, der uns Ankerlieger gut durchwirbelt. Manch einer schickt einen herzlichen Fluch hinterher. Und siehe da, er wird erhört: Wir vernehmen ein seltsames Geräusch, hört sich an wie ein wildgewordener Hornissenschwarm. Das Bötchen hat sich selbständig gemacht und den wilden Raser abgeschüttelt! Es kreiselt nun mit Vollgas auf der Stelle, und der Pilot rettet sich so schnell er kann schwimmend zu einem unserer Seglerkollegen. Irgendwann geht der Sprit aus und das Teil kann geborgen werden. Wir genießen das Spektakel sehr. Manchmal ist die Wirklichkeit besser als jedes Fernsehprogramm...!

Inzwischen ankert eine französische Yacht neben uns, ein großes, knallrotes Stahlschiff. Wir kennen den netten Einhand-Segler schon, hatten einen netten Schwatz vor einer Woche in der wunderschönen Ormos Stefanos. Leider habe ich den starken Verdacht, dass sein Anker ziemlich nahe an unserem liegt, also schnorchle ich hin, und tatsächlich, die Ketten liegen über Kreuz, und sein Anker genau zwei Meter neben unserem. Ich schwimme also rüber und teile mit dem Skipper meine Information. Er meint, das ist schon ok, er bringt noch ein 20-Kilo-Reitgewicht an seiner 70-Meter-Kette aus, dann schwoit das Schiff da drum rum und wir haben kein Problem. Französische Lebenskunst? Ich will kein Spielverderber sein, und so einigen wir uns darauf, dass er sofort weg muß, falls Wind aufkommt. Wir verstehen uns auf Anhieb ausgezeichnet, und schon haben wir eine Aperitiv-Einladung für den Abend auf "Maeva Nui". Wir bewundern das 20-Tonnen-Schiff; den Stahlrumpf hat er vor zwanzig Jahren gekauft und selbst ausgebaut. Es ist riesig, nach unseren Massstäben, und alles ist an Bord, einschließlich einer gut ausgestatteten Werkstatt. Nur das Schweißgerät führt er seit einiger Zeit nicht mehr mit... "Maeva Nui" ist auch schon gut rumgekommen in der Welt, war schon über den Atlantik, in der Karibik, bis ein Riff dem Törn ein jähes Ende setzte. Aber Stahl hält was aus, und nach den fälligen Reparaturen schwimmt sie nun zurzeit im Mittelmeer.

Aus unserem geplanten Abendessen an Land wird heute allerdings nichts mehr. Die dunkler werdenden Grauabstufungen am Himmel lassen keinen Zweifel aufkommen: Gewitter im Anmarsch. Nach einem kräftigen Donnergrollen und unmittelbar einsetzendem Regenschauer brechen wir die Dingi-Ansteuerung der Taverne fünfzig Meter vor dem Ufer ab, machen auf der Stelle kehrt und eilen zurück zu unserem Schiffchen. Ein Unterschied zwischen Eignern und Charterern wird hier nebenbei offensichtlich: Die Eigner kommen bei den ersten Blitzen zurück an Bord und geben Kette, die Charterer verlassen sofort eiligst ihre Schiffe und schwärmen aus zu den Tavernen... ;-)


Regenwetter

Wegen des anhaltend schlechten Wetters heben wir uns die Erkundung des Mini-Archipels für den Rückweg Ende September auf, und verlassen die Inselgruppe. Unser nächster Stop heißt Paxos. Im Norden der Insel, in der Bucht von Lakka, ankern wir auf wunderbarem Sandgrund.


Herrlicher Sandgrund, klares Wasser: Bucht Lakka auf Paxos

Bald läuft auch "Maeva Nui" herein, mit der wir uns verabredet hatten, und so schwoit wieder unsere kleine weiße Plastikschüssel neben dem großen roten Blechtopf. Das nette Örtchen hat einige schöne Tavernen, darunter auch sehr gute wie das italienisch angehauchte "La Rosa di Paxos". Wir richten uns auf einen Aufenthalt von mehreren Tagen ein, schwimmen ausgiebig im klaren Wasser und erkunden die Insel auf Schusters Rappen, Regenschirm immer am Mann. Die Straße zum nächsten Ort an der Ostküste, Gaios, führt zwei Stunden lang durch dichtes Grün. Knorrige, grünsilberne Olivenbäume spenden Schatten und bilden einen herrlichen Kontrast zu farbenprächtigen Bougainvilleas, die sich an den gut gepflegten Häusern hinaufwinden. Dazwischen immer wieder schöne Ausblicke auf's Meer.


Paxos, Blütenpracht im Inselinneren

Nach vier Tagen - es hört gerade mal auf zu donnern und wir erblicken, oh Wunder, sogar ein Stück blauen Himmels - nutzen wir die Gelegenheit und nehmen Reißaus vor einem italienischen Motorboot, das sich hierher verirrt hat und uns an unserem Ankerplatz ziemlich auf die Pelle rückt. Die Mongonisi-Bucht ist angesagt. Nach zwei Stunden erreichen wir die kleine Bucht an der Südostküste von Paxos. Der Ankergrund ist tief und hält wider Erwarten schlecht, so drücken wir uns rückwärts an der kleinen Pier zwischen zwei Engländern rein. Wir machen fest mit 45 Metern Kette, zwei Leinen und zwei Springs, gerade rechtzeitig bevor das nächste Unwetter hereinbricht. Unseren zwölften Hochzeitstag begehen wir am Abend feierlich in der einzigen Taverne der kleinen Insel bei Kalamari und Retsina, mit Sirtaki aus plärrenden Lautsprechern, bunten Plastikstühlen unter grellen Glühbirnen und mit viel Campingplatz-Feeling. Wir sind praktisch die einzigen Gäste. Der Himmel gibt dazu eine Sound-and-Light-Show, die uns unvergesslich bleibt.

Der Morgen weckt uns mit - na, womit wohl - einem kräftigen Donnerschlag! Da braucht man keinen Wecker. Wir lesen, schreiben, spazieren über die winzige Insel, vertrödeln den Rest des Tages. Gegen Abend - Überraschung - läuft "Maeva Nui" in unsere einsame Bucht. Es wird wieder ein langer Abend an Bord von Coco. Erst werde ich vom Fachmann - ausgerüstet mit Taschenlampe und Schminkspiegel - im dunklen Bauch unseres Schiffs liegend, kriechend und hängend, ausführlich eingeweiht in die Geheimnisse von Dieselmaschinen. Und dann gibt es noch einen Grund zu feiern: Hertas Mutter begeht heute ihren Siebzigsten, und so trinken wir kräftig auf ihr Wohl, das ist Ehrensache.


Paxos, Südbucht Ormos Mongonisi

Am nächsten Tag motoren wir mit Kurs Südost nach Lefkas. Dreissig Seemeilen, fast schon ein richtiger Tagestörn. Am Weg lockt Antipaxos mit kleinen Buchten und herrlichem, türkisfarbenem Wasser. Da müssen wir auch mal hin, doch nicht heute.


Sandstrand auf Antipaxos

Nach einigen windlosen Stunden unter Maschine machen wir die nicht ganz leicht zu findende Einfahrt zum Kanal aus und reihen uns ein in die Warteschlange der Yachten vor der Drehbrücke. Jetzt brist es auf, logo. Wir halten unsere Position, und zur vollen Stunde ertönt ein Signal. Die Armada setzt sich in Bewegung und mit Glück schlüpfen wir gerade noch mit rein, bevor die Durchfahrt nach wenigen Minuten schon wieder dicht ist.


Schwenkbrücke vor der Einfahrt in den Lefkas-Kanal

In Lefkas treffen wir endlich den Katamaran "Veligandu", mit dem wir seit Mallorca vor drei Jahren in lockerem eMail-Kontakt stehen. Persönlich gesehen haben wir uns noch nie. So freuen wir uns, als wir den Kat in der Marina liegen sehen und uns endlich kennen lernen. Skipper und Skipperin, zugleich Verfasser wohlbekannter Websites wie www.sailorsworld.com, www.schnellsuchen.com und www.scheisswetter.info, sind eine Fundgrube für Tipps und Informationen. So wird auch dieser Abend wieder lang. Umso mehr, als wir am Rückweg, weit nach Mitternacht, noch mit einem netten münchner Pärchen auf dem Schiff neben uns ins Gespräch kommen, und da die am nächsten Tag abreisen, bitten sie uns noch freundlich um Unterstützung bei der Vernichtung ihrer Restvorräte an Retsina. Das können wir natürlich nicht ablehnen, was sollen denn sonst die Münchner von uns Franken denken...?

Doch Marinas sind ja unsere Sache schon lange nicht mehr, und so verlassen wir nach zwei Gewitternächten Lefkas und segeln gen Süden, auf Odysseus' Spuren weiteren paradiesischen Ankerplätzen entgegen. Namen wie "Meganisi", "Ithaka", "Zakynthos" und viele andere lassen Seglerherzen höher schlagen ...


Paxos. Wer von den dreien ist wohl der Fahrer?


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