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Finike, Kappadokien / Juni 2004

Wasserratten auf Landgang

Die Durststrecke hat ein Ende: wir leben wieder an Bord!

Nach drei Stunden Flug und knapp zwei Stunden Taxifahrt schaukelt Coco vor uns munter im Kranbecken der Finike Marina, als wären wir nie weg gewesen. Der noch von zuhause aus erteilte Auftrag zum Kranen ist von den türkischen Marineros perfekt und offenbar just in time ausgeführt worden.

Bevor wir das Schott zum Niedergang öffnen, fegen wir erst mal eine dicke Staubschicht beiseite. Innen ist alles bestens in Schuss. Wieder mal hat sich unsere Strategie bewährt, im Herbst alle Metallteile einzuölen; kein Fitzelchen Rost. Auch die Holzflächen danken uns strahlend und mit frischem Glanz die intensive Pflege, die wir ihnen vor unserer Abreise noch haben angedeihen lassen. Und die Lüftung war auch ausreichend; nichts müffelt, nichts stockt.

Noch spät in der Nacht feiern wir unsere glückliche Ankunft und den Start des diesjährigen Törns mit zünftigen türkischen Mezeler (Vorspeisen) und scharfem Lamm Shish Kebab im Restoran vor der Marina.


Finike Marina

Am nächsten Morgen machen wir uns an die unvermeidlichen Vorbereitungs-Arbeiten. Zunächst baut uns Iset, der Elektriker, die drei neuen Bord-Batterien ein, zwei Servicebatterien und eine Starterbatterie. Beim Schleppen breche ich mir fast das Kreuz, auf gut 60 Kilo schätzen wir die Dinger, pro Stück. Selbst dem stämmigen und zweifellos schwierige Arbeitsbedingungen gewohnten Iset treten Schweißperlen auf die Stirn. Nach neun Jahren unermüdlichen und zuverlässigen Einsatzes haben sich unsere alten Gel-Batterien ihren Ruhestand wohlverdient. Obwohl sie letztes Jahr noch zuverlässig funktionierten, haben wir uns zu einer Neuanschaffung entschlossen. Sicher ist sicher. Da wir ungern drei Mal 60 Kilo im Gepäck mit uns rumschleppen wollten, haben wir die Batterien in der Türkei bestellt. Mit insgesamt über 1.000 Euro brachte uns diese kleine Investition schon im kühlen Norden leicht ins Schwitzen. Aber immerhin, oh Wunder, sind diese Batterien eines deutschen Herstellers hier in der Türkei sogar billiger als zu Hause im Ursprungsland! Normalerweise sind Marinas ja nicht gerade bekannt für ihre Schnäppchenpreise. Der Dollarkurs macht's möglich, nehmen wir an. Hier wird in Dollar abgerechnet.

Maschinentest. Der Diesel springt sofort an. Alle Systeme funktionieren auf Anhieb. So können wir Coco also aus eigener Kraft aus dem Kranbecken an einen Steg verlegen. Das erste Manöver der Saison klappt wie am Schnürchen, wir haben nichts verlernt.

In den folgenden Tagen spritzen wir Coco ab, schrubben das Deck, polieren Edelstahl, fetten Lager, schmieren Schmierpunkte, schlagen Segel an, montieren neue Leinentaschen, bauen eine neue Bugtoilette ein, lassen Schweißarbeiten ausführen, reparieren die Cockpitscheibe, spannen Vor- und Achterstag nach. Alle Arbeiten finden morgens und am frühen Abend statt, tagsüber lähmt die ungewohnte Hitze. Die letzten Wochen in Deutschland waren eher kühl, an's Mittelmeerklima müssen wir uns erst wieder gewöhnen.

Natürlich führt uns auch der eine oder andere Spaziergang oder Einkauf in den Ort hinein. Allzuviel können wir Finike nicht abgewinnen, eine Schönheit ist es nicht. Die Menschen sind eher zurückhaltend, aber freundlich, ganz normales türkisches Leben eben, ohne großen Touristenrummel. In unserer Feierabendstimmung fallen wir dann doch tatsächlich auf einen netten Menschen herein, der uns freundlich auf ein Gläschen Tee in seinen Laden bittet; natürlich will er "nichts verkaufen", sondern sich nur "über Deutschland reden", hat selbst "lange in Bamberg gelebt", uswusw, blablabla. Wir glauben tatsächlich an die sprichwörtliche türkische Gastfreundschaft. Wie kann man nur so blöd sein... Es gelingt und dann aber doch, ohne einen absolut unnötigen Teppich oder billigen Silberschmuck von dannen zu ziehen, trotz zahlreicher freundlicher Ausreden einen leicht schmollenden, wenn nicht gar verärgerten, Ladenbesitzer zurücklassend.

Bei einem Straßenhändler kaufen wir gekochte Muscheln, mit Bulgur und Zitrone gewürzt, setzen uns auf eine Parkbank und ärgern uns lachend über unsere eigene Naivität. Hat uns doch der Muschelhändler soeben auch noch mit dem doppelten Preis über den Tisch gezogen. Selber schuld, wenn man sich nicht rechtzeitig mit der fremden Währung befasst.

Mittwoch, der 16. Juni, geht als mein persönlicher schwarzer Tag in die Geschichte der Völkerverständigung und Telekommunikation ein. Mein Plan: den viel gepriesenen, billigen, mobilen, türkischen Internetzugang von Bord zu realisieren. Kurz gesagt, es wird ein Desaster. Nichts funktioniert, ich verschwende ein kleines Vermögen an eine unfähige Hotline. Es zeigt sich auch hier, was sich durch die gesamte moderne Telekommunikationsbranche wie ein roter Faden zieht: Mangelhafte Kenntnisse über die vom eigenen Arbeitgeber lauthals beworbenen Möglichkeiten, gepaart mit Inkompetenz und Ignoranz. Die Auskünfte lauten: (a) am Mac gehe das alles gar nicht, (b) für den PC brauche ich eine spezielle Software vom Handyhersteller, (c) PC-Notebook und Handy/Prepaidkarte müssen angeschlossen und betriebsbereit vor mir liegen, wenn ich anrufe. Letzteres ist nicht so einfach im Ausland, mit nur einem Handy dabei. Als ich dann alles so weit parat habe, und bei Metin, dem Technikmanager der Marina, noch ein Festnetztelefon gefunden habe, von dem aus ich das alles besprechen kann, gibt mir die Hotline-Dame falsche Einstellungen für den Laptop durch, wie ich später feststelle, als ich die Konfiguration testen will. Entnervt schmeiße ich gegen Abend das ganze Elektronikgerümpel in die Ecke, und bei einem Glas Rotwein planen wir erstmal einen Landausflug für die kommenden Tage. Etwas Distanz soll ja bekanntlich bei der Lösung vieler Probleme helfen.

In einer zehnstündigen Marathonfahrt mit dem gemieteten Fiat bewähltigen wir die Strecke von Finike bis nach Kappadokien, im Herzen Anatoliens. Mit Anatolien wird übrigens der Teil der Türkei bezeichnet, der sich auf dem asiatischen Kontinent befindet, immerhin 97 %! Die Landschaft, durch die wir fahren, wechselt zwischen grandioser Bergwelt, hitzeflirrender Ödnis, lieblichen Wiesen mit signalrot leuchtenden Mohnblumen, grün-goldenem Weide- und Ackerland. Wir lesen, dass die Türkei zu den wenigen Ländern der Erde zählt, die sich vollständig selbst von den Früchten ihrer Landwirtschaft ernähren kann. Nach dem was wir sehen, glauben wir das. Zahlreiche Imbißbuden und preiswerte Bus Stop Restaurants säumen den Weg, verhungern und verdursten wird hier kein Durchreisender.


Uchisar

Gegen Abend erreichen wir Uchisar. Das weltberühmte Göreme liegt ganz in der Nähe, doch wir wollen keinen Trubel, deshalb meiden wir den bei Reiseveranstaltern und Backpackern beliebten Ort. Das ruhigere, kappadokische Bilderbuchörtchen Uchisar liegt am Fuße eines gewaltigen, durchlöcherten Felsens, mit atemberaubenden Ausblicken auf die im Abendlicht pastellrosa leuchtenden Tuffsteinkegel. Die Szenerie könnte aus einem Science Fiction Film stammen. On parle francais. Der Ort ist beliebt bei französischen Individualreisenden. Einige Häuser wurden bereits von französischen Auswanderern oder aus Frankreich heimkehrenden Türken gekauft und werden jetzt mit viel Geschmack zu Pensionen oder kleinen "Hotels de Charme" umfunktioniert. Noch ist nicht viel los, und so haben wir die Wahl zwischen mehreren Zimmern in der Kaya Pension, einem kleinen Haus am Ortsrand mit wunderbaren Ausblicken. Wir nehmen das teuerste, mit einer Terrrasse größer als das Zimmer selbst, für 35 Euro pro Nacht, petit déjeuner inclus. Für hiesige Verhältnisse nicht billig, für uns Eurogeschädigte schon. Nach einem guten türkisch-frankophilen Diner fallen wir frühzeitig und todmüde ins gemachte Bett.


Der beeindruckende Ausblick von unserer Terrasse

Gegen neun Uhr weckt uns die Morgensonne. Frisch ausgeschlafen und mit einem guten Frühstück im Bauch brechen wir auf zur Wanderung durch's Liebestal, so genannt nach den hohen, schlanken Tuffsteintürmen, die wohl bei manchem Betrachter pornografische Gedanken wach werden lassen. Unser gedruckter Reiseführer weiß von zartbesaiteten Damen zu berichten, die beim Anblick schon vor Scham tief errötet sein sollen. Wir Nordeuropäer scheinen da härter gesotten, ich kann bei Herta zwar durchaus ein gewisses Interesse, aber keinen Anflug von Schamesröte entdecken.



"Feenkamine" im Liebestal

Das Tal ist wahrhaft zauberhaft. Die verschlungenen Pfade führen durch dunkle, natürliche Tunnels, an flüsternden Bächen entlang, dichtes Unterholz zwingt uns bisweilen fast zum Kriechgang, an steilen Abhängen wird unsere Schwindelfreiheit auf eine harte Probe gestellt. Hunderte von Vögeln und Millionen von Insekten umschwirren uns Eindringlinge, darunter kinderfaustgroße, schwarze hummelartige Käfer. Wir passieren einen Pferdehüter, der mit seinem Hund im Schatten eines Baumes döst. Die reine Idylle. Als wir näher kommen, winkt er uns freunlich zu, derweil er lauthals in's Handy plärrt. Soviel zum Idyll. Unvermittelt endet der Pfad an einer tiefen Schlucht. Wir nehmen all unseren Mut zusammen und wagen uns noch einige Meter kletternd und klammernd in den Abhang hinein, doch bald wird uns klar: hier geht's nicht weiter. Der "Trampelpfad", den wir zu sehen meinen, mag für türkische Bergziegen geeignet sein, für uns ist er es gewiss nicht! Just als wir schweißtriefend den sandigen und ungesicherten Abhang wieder heraufkriechen, taucht oben am Rand unser "Handy-Hirte" auf. Dem war wohl schon längst klar, dass wir zurückkommen würden. Ahmed, so heißt der drahtige Mensch, bietet sich als Führer an, und wir nehmen gerne an.

Zusammen mit seinem flinken, aber recht abgemagerten Hund, führt er uns ein Stück zurück, um die Schlucht herum. Auch dieser Weg ist nicht ganz ohne, aber doch nicht gleich so lebensgefährlich wie der auf der anderen Seite. Mit seinen glattlederbesohlten Strassenschuhen springt Ahmed unbekümmert über steile Felsen und glatte Abhänge vorneweg, wir mit unseren trekkingundbergweltgeprüften Spezialschuhen schlittern langsam und vorsichtig hintendrein, der Hund immer schön kreuz und quer zwischen unseren Füssen. Ahmed zeigt uns einen Adlerhorst hoch drobend unterhalb des Bergkamms hängend, doch wir haben momentan ganz andere Interessen; unsere Blicke bleiben beständig auf den Boden gerichtet. Wir atmen kräftig durch als wir gesund und unbeschadet unten im Tal ankommen!


Tuffsteinkegel wie Schweizer Käse

Wieder geht es durch Bäche, über Hügel, unter Büschen und Tunneln, vorbei an "Feenkaminen" und bizarren Tuffsteinpyramiden, viele davon mit hunderten von Höhlenwohnungen. Nach zwei ebenso mühe- wie eindrucksvollen Stunden schließlich in Göreme angekommen, danken wir unserem Führer Ahmed mit einem kleinen Trinkgeld und nehmen Abschied.

Für die meisten Touristen ist "Göreme" gleichbedeutend mit "Kappadokien". Kein Wunder, in der Gegend hier konzentrieren sich die wichtigsten und eindrucksvollsten Sehenswürdigkeiten der Region auf wenigen Quadratkilometern. So etwa das von der Unesco als Weltkulturerbe eingestufte "Kirchental" mit seinen zahlreichen über 1000 Jahre alten Höhlenkirchen und -Kapellen aus christlicher Zeit, deren Malereien und Fresken teils noch ausgezeichnet erhalten sind. Nachdem wir auch dieses Tal und den durchlöcherten Fels ausgiebig durchstreift haben, belohnen wir uns, wie es sich für ordentliche Kulturtouristen gehört, mit einem schönen Eis am Stiel, und warten auf den Bus, der uns bequem zurück nach Uchisar befördern wird.

Nach einer stürmischen Nacht (wettertechnisch, was denn sonst... ;-) mit Sand- und Staubwolken und sich zu Boden biegenden Bäumen, steht anderntags Derinkuyu auf dem Kulturprogramm. Diese bekannteste und größte der geschätzten rund 50 unterirdischen Stadtanlagen ist 8 Stockwerke tief und hatte alles zu bieten, was nötig war, um sich Monate lang dort aufzuhalten. Zusammen mit einem kleinen italienischen Touristentrupp gönnen wir uns einen Führer. Der zunächst sehr stolz erscheinende Preis von 30 Euro ist eine lohnenswerte Anlage, denn beim alleinigen Durchstreifen der Gänge hätten wir niemals einen solch lebendigen Eindruck erhalten. Die gut einstündige Führung ist sehr zu empfehlen. Pulli nicht vergessen, es ist eiskalt dort unten.


Eine unterirdische Wohnung

Schon seit 4000 Jahren bieten die Tuffsteinlandschaften Kappadokiens Zuflucht und Wohnraum. Regelrechte "unterirdische Städte" wurden angelegt, mit ausgeklügelten Belüftungs-, Kommunikations-, Be- und Entwässerungssystemen, sogar mit Kühlräumen für Lebensmittel und - für die Leichen der Toten. Insbesondere während der römischen Christenverfolgungen und der Arabereinfälle im 7. Jh. n. Chr. wurden diese unterirdischen Städte perfekt ausgebaut und als Zufluchtstätten genutzt, die ein Feind nur schwer entdecken und noch schwerer einnehmen konnte. Bis zu sechs Monaten konnten Tausende von Menschen hier unter Tage leben! Erst Anfang des 20. Jh. wurden viele dieser Städte und Wohnungen aufgegeben, wegen akuter Einsturzgefahr des spröde gewordenen Steins. Nur wenige Wohnungen sind heute noch bewohnt, und manche werden - wie könnte es auch anders sein - gerade wieder zu Hotels auf- und ausgebaut.


Zu Tisch im "Old Greek House"

Am Rückweg machen wir Rast in einem Ort mit den schönen Namen "Mustafapascha". In einem alten griechischen Haus mit dem nahe liegenden Namen "Old Greek House" essen wir auf gut türkisch am Boden um einen runden Tisch hockend gekochtes und gebratenes Gemüse, Bohnen, Salat und gefüllte Weinblätter, und trinken dazu süssen Tee, während sich eine kleine Horde junger Hauskätzchen um die Reste balgt. Im Rahmen des Bevölkerungsaustauschs im Jahr 1923 wurden hier lebende Griechen nach Griechenland und dort lebende Türken in die Türkei umgesiedelt, und häufig wurden die alten Häuser von den neuen Bewohnern übernommen. Deshalb sieht man in manchen Orten noch liebevoll hergerichtete Häuser in erkennbar griechischer Bauweise.

Nach diesen Tagen mit interessanten und ausgedehnten Streifzügen durch die beeindruckende innertürkische Landschaft brechen wir schließlich auf und machen uns auf die lange Heimreise zu unserem türkischen Basislager, nach Finike Marina. Dort rufen andere "Pflichten", Coco will ja auch mal wieder bewegt werden!


In der beeindruckenden Tuffsteinlandschaft Kappadokiens



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