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Symi und Südwest-Türkei / Juli 2004

Griechische Kanonen und türkische Barbiere

Heute abend Endspiel Fussball-Europameisterschaft: Griechenland gegen Portugal! Also auf nach Hellas! Zur Stätte unserer sportlichen Ambitionen wird der schöne Ort Symi auf der gleichnamigen Insel gegenüber dem türkischen Festland auserkoren.

Auf der Überfahrt aus Vorderasien ins christliche Abendland erleben wir erstmals, dass unsere Ankerwinsch (ja, die schon wieder...) von ganz alleine aktiv wird. Niemand hat was angefasst, niemand einen Knopf gedrückt, trotzdem fängt sie auf hoher See an, Kette zu geben. Das Mistding hat doch ein Eigenleben! Ich räume das Vorschiff aus, baue das Relais aus, baue das neue Ersatzrelais ein, das wir seit drei Jahren an Bord mitführen. Alles unterwegs auf See. Alles funktioniert wieder.

So laufen wir denn in Symi ein, klar zum Anlegen. Herta am Steuer, ich am Anker, Herta legt Rückwärts, zielt wunderbar in die Lücke... und Abbruch! Wir dürfen hier nicht ran! Andere Seite! Verstehen wir zwar nicht, andere liegen dort schon und letztes Jahr ging's ja auch, aber soll uns auch recht sein... Die halbe Minute unserer Verwirrung nutzt ein Österreicher, schleicht sich lautlos von hinten ran und quetscht sich schnell vor uns rein. Naja, schnell gerade nicht, aber nach mehreren Anläufen schafft er's dann doch. Nicht sehr sportlich. Wir dürfen derweil Kreise drehen und warten. Da fängt ein Alarm an zu piepen. Was ist jetzt schon wieder los? Die Batterieanzeige! Wir entschließen uns, den Alarm zu ignorieren bis wir angelegt haben. Als Österreich endlich festgemacht hat (Herta, leicht angesäuert: "...der hat viel zu wenig Kette gesteckt!"), weist uns der Hafenmeister auch noch den Liegeplatz direkt daneben an.

Zwei Stunden später ist es soweit: Eine steife Brise weht in die Hafenbucht. Wie erwartet hält der österreichische Anker nicht. Die schwere 55 Fuß-Yacht legt sich in ihrer ganzen Pracht auf Coco und drückt unser Heck gegen die Betonpier. Gut dass unser Heckfender das Schlimmste verhindert. Auf Cocos zierlichen 8 Tonnen lasten nun nochmal geschätzte 20. Eindeutig zu viel; so kann es nicht bleiben! Wir bitten die Nachbarn, neu zu ankern, was sie schließlich auch tun. Leider reißen sie dabei unseren Anker mit raus, schleppen ihn durchs halbe Hafenbecken und werfen ihn dann fröhlich quer über die Ketten zweier Nachbarlieger. So bekommen wir unverhofft auch noch Gelegenheit, bei Dämmerlicht selbst noch ein Ankermanöver zu fahren. Immerhin, eine gut gekühlte Flasche Wein ist der Lohn!


Hellas oleole!
Griechenland - Portugal 1:0! Griechenland im Freudentaumel!

Unsere Griechen in Symi verwechseln allerdings wohl "feiern" mit "feuern": Kanonendonner über der Bucht und Dynamit im Hafenbecken! Uns wird Angst und bang. Wenn Südländer feiern, dann richtig. Um fünf Uhr früh ist endlich halbwegs Ruhe.

Montag morgen ist die Welt wieder in Ordnung, und auch das Ladeanzeigeproblem ist gelöst. Ein Kabel an der Lichtmaschine war gelockert, das hatten wir vor Jahren beim Chartern schon mal. Erfahrung ist halt alles.

Wir runden Simi am Südkap mit Ziel Ormos Panormitis. Das dortige Kloster erinnert eher an ein französisches Seebad aus den Zwanzigern des letzten Jahrhunderts. Das lang gestreckte, weiß getünchte Gebäude nimmt einen Gutteil der Bucht ein. Ein Drittel des Ufers ist zubetoniert und weiß gestrichen. Fünf Mönche sollen heute noch hier leben, die Größe der Anlage würde für hundert reichen. Wir ankern frei in der rundum gut geschützten Bucht und machen Landgang. Ein geteerter Weg führt zur kleinen Windmühle oberhalb der engen Einfahrt. Alle zehn Meter eine Strassenlaterne. Wir wundern uns, denn Verkehr ist hier keiner, weder von Fahrzeugen noch von Fussgängern. Natürlich besuchen wir auch die Klosteranlage. Gerade scheint eine Zeremonie beendet zu sein, und zu unserer Freude erhalten auch wir Besucher im Klosterhof eine Scheibe vom soeben geweihten, mit Zimt gewürzten Festbrot. Dabei erfahren wir, dass die Klosterzellen von Pilgern bewohnt werden, die wohl in recht großer Zahl hierher strömen. Aber auch jetzt wird das Kloster gut besucht: täglich mehrmals machen Ausflugsboote und Fähren von Simi oder Rhodos an der klostereigenen Betonpier fest und bringen für eine Stunde lärmendes Leben. Nachts ist dann das Kloster ebenso wie die Bucht wieder einsam und verlassen. Der Kirchturm und die Uferpromenade rund um die Bucht allerdings sind kräftig illuminiert. Für uns ist die romantische Rundumbeleuchtung am Ankerplatz wieder mal ein neues Erlebnis. Wir spielen eine Partie Backgammon, ich gewinne, was denn sonst...


Idylle in Ormos Panormitis

Nach einem einsamen Morgenschwimm gehen wir ankerauf. Das rund 30 Seemeilen entfernte antike Knidos lockt. Klar, der aufmerksame Leser wird jetzt einwenden: "Aaaber, das ist doch Türkei." Klar, wissen wir. Das werden wir in der nächsten Zeit häufiger tun. Unser nicht ganz legaler Grenzübertritt bleibt unbemerkt. Unterwegs patrouilliert lediglich ein Grüppchen Delfine. Wieder einmal stellen wir fest, dass die Delfine im östlichen Mittelmeer nicht so zutraulich sind wie wir es von ihren Artgenossen im westlichen Teil gewohnt waren. Diese hier halten sich in respektabler Entfernung vom Schiff auf und spielen auch nicht in der schäumenden Bugwelle.


Typische Ansichten auf Amwindkurs

Unterwegs legt der Wind bis 24 Knoten zu, gegenan. Wieder einmal denken wir an die alte Seefahrerweisheit, dass es im Mittelmeer nur drei Winde gibt: zu viel, zu wenig oder genau von vorne. Ich füge hinzu: es gibt auch zuviel, genau von vorne.

Wir ankern im halb versunkenen Handelshafen von Knidos, der gegenüber liegende Kriegshafen ist versandet. Der Grund ist grauenhaft, Fels und Seegras, nichts was einem zuverlässigen Bügelanker auch nur die geringste Freude bereiten würde. Dementsprechend probieren wir es vier Mal, bis wir das Gefühl haben, einigermaßen sicher zu liegen. Kräftige Böen erleichtern uns die Aktionen nicht gerade. Wir stecken "achtfache Wassertiefe" an Kette, mehr geht nicht, denn rundum kämpft noch eine Anzahl weiterer Yachten mit dem schlechten Grund.

Die ausgedehnte Ruinenanlage erkunden wir sodann im sanften Abendlicht. Obwohl für uns Laien die meisten antiken Steinansammlungen ähnlich aussehen, ist Knidos allemal einen Besuch wert. Die Reste der antiken griechischen Stadt aus dem vierten Jahrhundert v.Chr. liegen auf einem zerklüfteten Hügel an der äußersten Landspitze der Datca Halbinsel, eingebettet in ein herrliches Panorama, mit Blick bis hinüber nach Rhodos. Kunst und Wissenschaft blühten hier einst, Knidos war in der antiken Welt ein berühmter Heilort.


Knidos - Blick vom Theater auf den Ankerplatz

Zurück an Bord, trauen wir unseren Augen nicht. Klammheimlich brachte der vor uns liegende Nachbar in der Zwischenzeit einen Heckanker aus. Das bringt uns in eine völlig neue, unangenehme Situation, denn nun wäre eine Winddrehung verhängnisvoll. Außerdem ist das in dieser Situation völliger Unsinn. Ich schwimme rüber und erkläre es dem Greenhorn. Erfolglos, er läßt's drauf ankommen. Ich schlafe schlecht in dieser Nacht, gehe mehrmals Ankerwache, aber alles geht gut. Selig sind die Unwissenden...

Frühmorgens geht es weiter. Start bei Westwind gegenan, klar, aber wir runden ja das Kap Knidos um 180 Grad und werden dann in den Gökova-Golf hineinsegeln. Dann muß der Wind nach menschlichem Ermessen von achtern kommen. Und da in dieser Gegend des Mittelmeers zu dieser Zeit praktisch immer Westwind weht, freuen wir uns auf eine schöne "Schlittenfahrt" mit Rückenwind, sobald wir Ostkurs anliegen haben.

Merksatz 1: "Im Sommer gibt es in der südlichen Ägäis eine Wahrscheinlichkeit für Ostwind von nahe Null Prozent!" Merksatz 2: "Wenn Coco Ostkurs segelt, verliert Merksatz 1 seine Gültigkeit!" Ich fasse zusammen: Wind hier und jetzt aus Südost, nicht zu knapp und auch recht böig von den Berghängen herunter; die Welle dagegen kommt aus der "richtigen" Richtung, nämlich aus Nordwest. Selten haben wir so eine konfuse Schaukelei erlebt! So geht es fast die ganze Zeit bis kurz vor unserem Tagesziel, Körmen Limani. Dort haben wir, als wir uns der engen Einfahrt des kleinen Hafens nähern, den Wind dann endlich aus Nordwest, wie es sich gehört. Leider mit 6 Beaufort, was bedeutet, er bläst uns beim Anlegen kräftig und genau auf die Seite. Das mag man ja als Segler nun auch nicht so gerne. Doch der Hafen ist fast leer, nur eine einsame Segelyacht liegt da, und die Bodrumfähre, die wegen des Seegangs noch nicht ausläuft. Wir werfen Anker kurz hinter der Einfahrt, haben dann knapp 70 Meter Kette draußen bei vier Meter Wassertiefe, jeder Segler weiß was das heißt: (a) das wird nach menschlichem Ermessen halten, (b) jeder Neuankömmling wird seinen Anker drüberwerfen, weil damit keiner rechnet. Egal, dafür klappt unser Anlegemanöver bei Seitenwind sauber und perfekt. Körmen ist der Fährhafen von Datca, das auf der anderen Seite der Landzunge liegt. Es gibt praktisch nichts hier, außer einem Kassenhäuschen, einer Taverne und einem Toilettenhäuschen. Kaum ein Mensch hier, nur wenn die Fähre kommt oder geht, ist die Pier erfüllt von kurzzeitigem Trubel.

Paul aus London und seine Frau Christina aus Liverpool, genannt Tony, mit karibisch-irischem Temperament, schmeißen eine Party. Sie laden uns und ein älteres türkisches Ehepaar kurzerhand ein zum Abendessen auf ihre Yacht. Es wird ein lustiger Abend mit viel Spaß. Erfahrungsaustausch, Seemannsgarn, Schwänken. Solche spontanen Zusammenkünfte fremder Menschen sind das Salz in der Segelsuppe.


Coco im Fährhafen von Körmen

Am nächsten Morgen hat Coco den ganzen Hafen für sich allein. Wir wandern los die Strasse Richtung Datca, wo uns just ein vorbeikommender Wagen mitnimmt. In Datca hatten wir letztes Jahr für die Türkei einklariert, und dort hatten wir einen Kneipenwirt getroffen, der früher mal in Fürth gearbeitet hat, in einer meiner Stammkneipen. Den wollen wir besuchen, und auch mal wieder ein bißchen "Stadtluft" schnuppern. Doch Yashar ist leider nicht da, seine Kneipe ist noch geschlossen. Schade. So bummeln wir durch den Ort, gönnen uns frisch gepressten Orangensaft im schönen Hafen, und stocken unsere Lebensmittelvorräte auf. Für den Rückweg nehmen wir einen billigen Dolmus ("Dolmusch"). Dolmusse sind Minibusse, die regelmäßig feste Strecken fahren, und überall anhalten, wo jemand zu- oder aussteigen will. Da werden schon mal kleine Umwege gefahren, um ein altes Mütterchen direkt vor ihrem Haus abzusetzen, oder es wird mitten im Überholmanöver abgebrochen, um auf der linken Spur anzuhalten, wenn sich am Strassenrand eine Hand hebt! Und für einen kleinen Extra Obolus werden wir direkt an die Pier zu Coco gefahren.

Gegen Abend erwarten wir Harry und Geli mit ihrer schönen Deckssalonyacht "Michelle". Auch sie dürfen ihr Anlegemanöver im Hafen bei kräftig Seitenwind fahren, immer wieder spannend! Der Abend wird lang, sehr lang, wie immer, wenn wir uns treffen.

Für den nächsten Tag wählen wir eine reizvolle Bucht als Ziel aus: Cati ("Tschati") Kücük. Bei endlich mal herrlichem Segelwind, 4 bis 6 Beaufort achterlich, segeln wir eine kleine Privatregatta. "Michelle" gewinnt knapp. Länge läuft, ist ja nichts Neues; an unserer überlegenen Segeltaktik kann's ja nicht gelegen haben...! Wir kochen an Bord, Herta macht exzellente Pasta, Harry, der Gourmetkoch, liefert als Dessert Crepes mit Yoghurt, Honig und Walnüssen. Köstliche Gedichte, alles. Wir diskutieren über Gottunddiewelt, und über Ankermanöver (Ich: "Viel Kette, Hauptsache sicher!"; Harry: "Ganz egal, Hauptsache ich liege über Türkis!!"). Die Nacht wird spät (siehe oben...).


Die Crew der "Michelle" mit Kurs "Coco"

Anderntags lassen wir es gemütlich angehen. Ein ausgedehnter Schwimm vertreibt die Müdigkeit aus den Knochen, und nach einem guten Salat-Lunch brechen wir am frühen Nachmittag auf zu den "Sieben Inseln", Yedi Adalari. Schon bald bereue ich den späten Startzeitpunkt. In Ölzeug (!) bolzen wir gegenan, bekommen zahlreiche kräftige Duschen von überkommenden Brechern. Erst als wir von den vorgelagerten Landzungen frei sind können wir den Kurs ändern und den Wind einigermassen von achtern nehmen. In der Spitze erreicht der Wind heute 35 Knoten, ein glatter Achter. Nicht gerade mein Lieblingswind. Harry und Geli dagegen, mit ihrem größeren Schiff, freuen sich dass sie gut vorwärtskommen. Ich dagegen maule rum und bekomme prompt von Herta einen Anschiss. Es gibt auch Positives: bei mir kein Anzeichen von Seekrankeit. Immerhin.

Zwischen schäumenden Klippen schlüpfen wir durch eine enge Einfahrt hinein in den Schutz der Sieben Inseln. Zwar pfeift der Wind noch immer unvermindert, doch die Inseln halten den Seegang ab. Im East Creek finden wir einen sicheren und schönen Ankerplatz. Beim Ankermanöver mit Landleinen geht uns ein Fender über Bord, wir fahren also noch erfolgreich ein Fender-über-Bord-Manöver bei 30 Knoten. Dann gehen wir Seite an Seite mit "Michelle". Draußen orgelt der Wind. Harry erfreut unsere Gaumen mit Rucola-Quiche und Polenta-Crepes. Wie schnell doch ein gutes Essen mit Freunden die Mühsal des Tages vergessen läßt!

Glücklich, wer an Bord einen Gewindeschneider dabei hat! Jawohl, richtig gelesen, Gewindeschneider. Zuhause bin ich fünfundvierzig Jahre ohne sowas ausgekommen, aber an Bord kann man früher oder später alles brauchen. Ein kleines, aber wichtiges Teil an der Kettennuss hat sich gelockert, ein Führungsblech, das vermeidet, dass sich die Kette beim Fieren oder Holen verhängt. Die Schraubgewinde sind ausgelutscht, die Schrauben halten nicht mehr. Also wühle ich einen passenden Gewindeschneider aus den Tiefen unseres Werkzeugschapps hervor, und nach kurzer Zeit ist das Problem gelöst. Neue Schrauben rein, so gut hat das Teil seit fünf Jahren nicht gesessen!

Am nächsten Morgen fast Windstille. Das Barometer steigt mal wieder, sehr zu meiner Freude. Wir motoren um das Kap, später können wir segeln. Sogar "Schmetterling", also ein Segel rechts, eines links, weil der Wind von hinten schiebt.

Im Englisch Harbour, einem schönen Seitenarm des Degirmen Bükü, legen wir uns vor Anker und Landleinen, Michelle macht neben uns fest. Beim Schnorcheln entdecken wir einen Krebs von gut 20 Zentimeter Durchmesser; es ist nicht eindeutig erkennbar, wen diese Begegnung mehr erschreckt... Auch ein kleiner Rochen begegnet uns auf unserem Ausflug. Schön hier. Nach einem ausgedehnten Abendspaziergang belohnen wir uns mit einem Abendessen in der Taverne gegenüber. Auf Hertas unschuldige Frage, ob der Fisch denn auch frisch sei, schleppt der Wirt zum Beweis einen ganzen Eimer noch zappelnder Fische heran. Herta wendet sich verschreckt ab, heute lieber doch kein Fisch!


Degirmen Bükü, hinter uns liegt English Harbour

Für den nächsten Tag bestellen wir einen Dolmus nach Marmaris. Kaum angekommen, ruckzuck haben die Mädels die örtlichen Bikinibestände geplündert. Ich sitze derweil gemütlich beim Barbier, lasse einen Teil meiner mittlerweile schon wieder ganz beachtlichen Haarpracht dort zurück. Einschließlich Augenbrauen stutzen und Ohrenhaare ausbrennen (!!) ganze 7 Euro. Das ist der Spass allemal wert. Zumal unsere Mädels das Ergebnis einmütig sensationell finden, na bitte! Zuhause werde ich mir umgehend einen türkischen Friseur suchen, wenn's was hilft...

Und nein, ein Foto gibt's nicht, das müsst ihr jetzt mal einfach so glauben.



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