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Juli 2005 | Amorgos - Turgutreis

Tiefenrausch auf der Klosterinsel

Über Nacht geht der Wind zurück auf Stärke vier bis fünf. Nach dem morgendlichen Schwimmgang in unserer einsamen Bucht Pori gehen wir Ankerauf. Kurs Amorgos. Ormos Katapoula, die großen Hafenbucht, liegt in Sichtweite. Es wird eine angenehme Downwind-Partie vor der Welle bei raumem Wind.

Eigentlich wollen wir in Katapoula an die Pier gehen. Ein Platz wäre dort zwar frei, aber der Winddruck trifft die Schiffe, die dort schon römisch-katholisch vor Anker liegen, genau seitlich. Das gefällt uns nicht, denn wir möchten Coco mal einen Tag alleine lassen, um die Insel zu erkunden. Die Gefahr, dass unser Anker von einem Nachbarn ausgerissen wird, erscheint uns zu groß. So legen wir unser Schiff im Scheitel der Bucht frei vor Anker und lassen es schwojen.

Rund um die große Bucht befinden sich drei Ortschaften, die nahtlos ineinander übergehen. Oben in den Hügeln, von hier nicht zu sehen, liegt die Chora (übersetzt etwa: Altstadt am Hügel). Wir nehmen den Bus, der stündlich zwischen Hafen und Chora verkehrt, und in zwanzig Minuten sind wir droben. Das typische Kykladendörfchen gefällt uns sehr. Auch hier die üblichen schmalen Gassen und steile, weiß gekalkte Treppen, kleine Tavernen und Kafeneions. Über allem thront der Hausberg. Autos müssen draußen bleiben. Es ist früher Nachmittag, kaum eine Menschenseele ist zu sehen.



Die Chora von Amorgos



Wir fragen uns durch nach dem Fußweg zum berühmten Kloster Panagia Hozoviotissa, das an der gegenüber liegenden Südseite der Insel atemberaubend im Steilhang kleben soll und das ein absolutes touristisches "Muss" ist. Vorbei an alten Windmühlen, wird der anfänglich bequeme Fußweg bald zum Bergpfad, der Bergpfad zum Ziegenpfad, und der zur steilen Geröllpiste. Schließlich klettern wir mehr als dass wir wandern. Mit angehaltenem Atem und aufgeschürften Beinen erreichen wir Agia Anna am Fuß der Klippen. Zu weit! Das Kloster haben wir unterwegs verpasst. Doch auch Agia Anna ist sehenswert. Eine winzige, aber außerordentlich pittoreske Badebucht inmitten grandioser Felslandschaft. Doch Badezeug haben wir nicht dabei, außerdem steht heute Kultur auf dem Plan. Glücklicherweise windet sich eine Autostraße an der Bergflanke hinauf; nicht viele sind verrückt genug, zu Fuß hierher zu kommen. Genau genommen sind wir die einzigen. Alle anderen Besucher sind motorisiert. So ist es ein leichtes, binnen kurzem eine Mitfahrgelegenheit zu finden. Wir sprechen die erste Griechin an, die uns entgegenkommt. Sie entpuppt sich als gebürtige Oberpfälzerin, die hier auf der Insel als Krankenschwester arbeitet. Gerne nimmt sie uns ein Stück mit hinauf und setzt uns in einer Kurve auf Höhe des Klosters ab.

Auch von hier ist noch nichts vom Kloster zu sehen. Das Bauwerk liegt wirklich perfekt vor fremden Blicken geschützt. Eine in die Felswand gehauene Treppe führt schließlich zum Ziel: grandios wie ein Adlerhorst im Steilhang hängend, leuchtet das weiß gekalkte Kloster im Nachmittagslicht. Wir haben Glück und kommen gerade noch rechtzeitig an; nur wenige Stunden am Tag ist das Kloster für Besucher geöffnet. Für Herta ist das Glück zunächst von kurzer Dauer: Der Torwächter bescheidet kurz angebunden, Hosen an langen Damenbeinen seien nicht ausreichend züchtig. Kurz bevor das folgende Wortgefecht eskaliert, leiht eine französische Besucherin meinem wutschnaubenden Schatz ein Tuch, mit dem sie ihre Beine bedecken kann. Derart tugendhaft verhüllt, findet sie schließlich Gnade vor den Augen der gestrengen Mönche, und Frieden kehrt wieder ein an diesem kontemplativen Ort.


Kloster Panagia Hozoviotissa

Nach der Besichtigung fahren wir per Bus zurück nach Katapoulo. Für die Mühen des Tages belohnen wir uns in der Corner Taverna mit Lammfrikassee mit Spinat und Zitronensauce (sehr interessant) und leckerem Hasenstifado. Wer hat gesagt, Griechen könnten nicht kochen ...?


Hier auf Amorgos drehte Luc Besson 1988 seinen berühmten Film "Im Rausch der Tiefe" mit Jean Reno ("Léon, der Profi"). Seither ist Amorgos so etwas wie eine französische Pilgerstätte. In einer Bar wird während der Saison jeden Abend der Videofilm vorgeführt, um 20 Uhr in französischer Sprache, um 22 Uhr auf englisch. Wir sichern uns einen Platz, bestellen Ouzo und Oliven und versuchen uns auf die Handlung zu konzentrieren. Doch nach einer guten halben Stunde vergrault uns der Lärm aus der Disko nebenan, man versteht kaum noch ein Wort, trotz Maximal-Lautstärke am TV. Nicht weiter tragisch, wir kannten den Film ja schon. Während drinnen die Jugend tobt, trottet draußen ein alter Grieche auf seinem noch älteren Esel vorbei. Ein Jahrhundert liegt zwischen diesen Welten.


Wir mieten uns ein Moped. Eines jener Fahrzeuge, bei denen der deutsche TÜV feuchte Augen bekommt. Ausgestattet mit hellenischer Digitalsteuerung: Gasgriff auf Anschlag = Vollgas; Gasgriff zurück = Kein Gas; Abstufungen dazwischen = keine. Mit ohrenbetäubendem Getöse zuckeln wir so über die Inselstraße und verschrecken die Ziegen am Wegesrand. Mehr Schein als Sein, denn die Beschleunigung bergauf lässt dann doch sehr zu wünschen übrig. Doch keine Sorge, Hupe und Bremsen funktionieren.

Im Insel-Osten hat der kleine Hafen Agialis unter Seglern nicht den besten Ruf, der dazugehörige Ort entpuppt sich bei unserer Kurzvisite aber als recht nett. Im Westen Amorgos' liegen ein paar hübsche, abgeschiedene Badebuchten. Ormos Liveros birgt noch immer das Wrack des Schiffs, das im "Rausch der Tiefe" eine Nebenrolle spielte. Die malerische Bucht am äußersten westlichen Ende der Insel bietet sogar Schutz für zwei oder drei Yachten. Auch zwei Wohnmobile geniessen die schöne Abgeschiedenheit. Der Höhepunkt des Tages ist aber unser Badestopp in der wilden Bucht von Agia Anna. Heute haben wir die Badesachen im Gepäck.

Am Abend kaufen wir Brot, Fleisch, Gemüse und meine geliebten griechischen Aprikosen, denn morgen wollen wir die einsame Insel Levitha anlaufen und an Bord kochen. Heute schlemmen wir nochmal an Land, Karavida (eine Krebsart) mit Pasta, kleine Fische aus der Pfanne, dazu ein halbes Kilo Wein. 32 Euro, hier ist die Welt in Ordnung.

Auf dem Weg nach Levitha bleiben wir (aus Faulheit oder aus Dummheit?) zu dicht an der Nordküste Amorgos. Zur Strafe schüttelt uns eine unangenehme Kreuzsee kräftig durch. Der aus Norden anlaufende See prallt am gewaltigen Felsmassiv ab und führt zu absolutem Durcheinander. Der aus leidvoller Erfahrung gesammelte Coco-Tipp für Amorgos lautet also: bei entsprechender Wetterlage reichlich Abstand halten!

Erst nachdem wir das Ostkap mit seinem gewaltigen Felsmassiv hinter uns gelassen haben, werden Wind und Wellen stetiger. Eine zweite Yacht läuft auf Parallelkurs. Von nun an segeln wir bei raumem Fünfer Wind, perfekt für eine private Funregatta. Am späten Nachmittag erreichen wir kurz nacheinander die bestens geschützte Bucht und machen an den ausgelegten Bojen fest. Später kommt der einheimische Bojenbesitzer und kassiert die Liegegebühr von 7 Euro. Teurer als die meisten griechischen Häfen, aber wir werden's überleben. Abgeschieden ist es hier wirklich. Das Handy zeigt "Kein Netz". Ich wußte gar nicht, dass es diesen Text auf modernen Handydisplays heutzutage überhaupt noch gibt.


Am nächsten Morgen starten wir ohne festes Ziel. Heute werden wir Genuß-Segeln! Erst mal raus aus der Abdeckung der Insel, dann prüfen, woher der Wind tatsächlich weht, und danach erst wird das Tagesziel festgelegt. Bald schiebt uns ein herrlicher Westnordwest gen Maratho. Hier kennen wir uns aus. Auf dem kleinen Inselchen, so wissen wir, gibt es praktisch nichts als eine einzige Bucht mit drei Tavernen. Und eine davon mögen wir ganz besonders. Ziegenbraten und Kapernsalat locken. Bevor wir an einer der kostenlosen Bojen festmachen, stöbern wir noch ein wenig durch die farbenprächtige Buchtenwelt von Arki, nahe gegenüber. Kristallkares Wasser und Abgeschiedenheit, wunderbar. Das Echolot sollte man hier allerdings gut im Auge behalten, es gibt viele Flachs.


Vollmond über Cocos Ankerlicht

Am nächsten Tag passieren wir "unsere" Titelbild-Insel, Nisos Aspronisi (37°18,3N, 026°48,3E) und segeln von dort weiter nach Lipsi. Kaum einer da, wir können uns den Ankerplatz aussuchen. Beim Ankern in der nordwestlichen Bucht (beim Restaurant) sollte man achtgeben auf mehrere mit Beton gefüllte Kühlschränke, die hier am Grund liegen. Vermutlich gedacht als Muringblöcke, momentan allerdings nicht in Gebrauch. Nicht ganz ungefährlich für Ketten und Ankerleinen. Beim Schnorcheln auf dem hellen Sandboden sehen wir jede Menge Fische. Auch einige Oktopusse erblicken wir in ihren Verstecken; ihre Tarnung aus Muscheln und Steinen mag ja andere Feinde täuschen, aber nicht uns. Ein halbstündiger Spaziergang über den Hügel führt uns am Abend in den Hafenort. Als Sundowner gibt's ein Mythos-Bier, dazu Oktopus in Öl und Essig. Wir bleiben zwei Tage. Irgendwie wird Lyra Lipsi bei jedem Besuch schöner.

Einen Overnightstopp legen wir noch in der Pandeli-Bucht auf Leros ein, wo uns die Nacht von lautstarkem Türkpop versüßt wird. Offenbar wird in den Tavernen am Ufer eine türkisch-griechische Hochzeit gefeiert. Wir liegen frei vor Anker vor der Hafeneinfahrt, was einem vollbärtigen Griechen im kleinen Motorboot gar nicht paßt. Lautstark - und unter vehementer Androhung sämtlicher Obrigkeiten - werden wir aufgefordert uns zu verlegen. Wir tun wie gewünscht, wenngleich es nicht viel Sinn macht und der Raum beengt ist. So wachen wir denn auch am nächsten Morgen auf und finden Coco angeschmiegt an ein Pärchen von Gummibooten, das hier mittendrin an einer Muringboje vertäut liegt. Das Ankeraufmanöver findet für mich unter Wasser statt, denn unser Anker hat sich in einem am Grund liegenden, rostigen Fünfzig-Kilo-Anker verhakt, und ohne Tauchgang bekommen wir ihn nicht frei.

Bei bestem Segelwetter geht es weiter gen Südost, Richtung Türkei. Die neue D-Marina in Turgutreis wurde nun endgültig als Cocos Winterplatz erkoren. Unterwegs steuern wir noch die kleine Insel Kalolymnos an (nicht zu verwechseln mit Kalymnos). In der Südbucht gehen wir an eine der zwei riesigen Festmachertonnen. Auf dieser Insel scheint eine Basis der griechischen Küstenwache stationiert zu sein. Es dauert nicht lange bis ein Küstenwachschiff ankommt und an der zweiten Tonne festmacht. Wir rechnen schon damit, gleich fortgejagt zu werden, doch man beobachtet lediglich die Zubereitung unseres mittäglichen griechischen Salats per Fernglas und läßt uns ansonsten in Ruhe. Nach zwei Mußestunden legen wir ab und machen uns auf die letzten Meilen. Wir wechseln die griechische Gastlandsflagge gegen den türkischen Halbmond, setzen darunter die gelbe Q-Flagge, und schon steht Coco vor den Wellenbrechern der türkischen Marina. Über Funk melden wir uns an, ein Gummiboot nimmt uns freundlich in Empfang. Wir sind am Ziel unseres Sommertörns angekommen.




Turgutreis



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