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Mai 2006 | Turgutreis - Mykonos

Sommersocken

Gerne gebe ich es nicht zu, aber während ich dies schreibe, trage ich Socken. Dicke, warme Socken. Obwohl es fast schon Juni ist. Genauer gesagt, haben wir den 26. Mai 2006. Seit zwei Wochen sind wir wieder auf Törn. Genauer gesagt, seit sechs Tagen. Wir liegen auf Andros, im Norden der Kykladen. Davor lagen wir acht Tage in der Marina in Turgutreis. Ein neuer Rekord.

Genua
Dieser Langzeitmarinaaufenthalt wurde uns ermöglicht, weil all unsere Aufträge offensichtlich erst in Angriff genommen wurden, als unser Kommen unmittelbar bevor stand. Genau gesagt, einen Tag vorher. Motorservice, Antifouling, eine neue Stopfbuchse, Reparatur des Wasserhebers am Auspuff, Umbau der Ankerwinsch, Einbau eines elektrischen Gasfernschalters, ein neuer Sitzbezug am Naviplatz, Reparatur des Drehzahlmessers, professionelles Check des Riggs, neue Leinen und manches mehr. Klar, es gab schon einiges zu tun, und das geht nicht von heute auf morgen. Deshalb hatten wir ja auch reichlich Vorlaufzeit geplant und die Aufträge rechtzeitig vergeben. Genau gesagt, im Januar. Vier Monate vorher. Nun ja, im Süden gehen die Uhren anders. Langsamer. Im letzten Moment aber dann doch schneller. Um nicht zu sagen hektisch. Mit ruhigen Momenten dazwischen. Regen wir uns also nicht auf und machen das Beste daraus. Wir haben ja zwei Monate Zeit, was sind da schon acht Tage. Als endlich alles fertig ist, stellen wir dann doch fest, dass Europa zusammenwächst. Zumindest die Preise sind absolut nordeuropäisch. Die Gleichung "Türkei = preisgünstig" gehört wohl endgültig der Vergangenheit an. Nicht umsonst hatten wir auch unser neues Vorsegel in Deutschland anfertigen lassen und im Fluggepäck mitgebracht. Drei Angebote aus der Türkei lagen allesamt höher! Womit wir beim Beginn der Erzählung wären:


Nürnberger Flughafen
Gemütliche Übernachtung am Nürnberger Flughafen


Der Vorabend-Check-In ist eine feine Erfindung der Fluggesellschaften. Am Abend vor der Abreise gibt man sein schweres Gerät am Schalter auf, und am Abend des Abflugtags besteigt man mit leichtem Handgepäck bequem das Flugzeug und landet bald darauf entspannt am Zielort. Der Urlaub kann beginnen. Theoretisch. Praktisch kann es auch dumm laufen und man besteigt sein Flugzeug - wegen eines kleinen technischen Problems - erst nach einer Stunde Wartezeit. Ist ja kein Problem, lieber das kleine technische Problem am Boden als in der Luft. Sodann sitzt man im Flieger. Leider ist das technische Problem noch immer existent, und man verbringt eine weitere spannende Stunde. Gegen Mitternacht dann die Durchsage: "Problem ist gelöst, Startfreigabe ist erteilt." Also auf zum Rollfeld! Auf der Startbahn lauscht der geneigte Ferienflieger zwanzig Minuten dem Dröhnen der hochdrehenden Jet-Triebwerke, in stehendem Zustand, bis sich der Gedanke einschleicht, ob das technische Problem vielleicht doch noch nicht befriedigend gelöst sei ... Freundliche Durchsage des Flugkapitäns: "Aufgrund eines technischen Defekts muss der Start abgebrochen werden. Wir bedauern." Wir auch.

Zurück zum Startplatz. Alle raus aus dem Flugzeug. Zum Gepäckband. Dort darf man das so bequem beim Vorabend-Check-In aufgegebene Gepäck wieder entgegen nehmen. Was uns betrifft: zwei schwere Reisetaschen mit Büchern, Ersatzteilen und Zahnbürste, plus ein 25 Kilo schweres, mannsgroßes und somit recht sperriges Vorsegel, in halb aufgeplatzter Spezialverpackung. Nächster Check-In Zeitpunkt? Ungewiss, voraussichtlich am nächsten Morgen. Ob man denn wenigstens das Gepäck schon mal aufgeben könne? Nein, leider, jetzt noch nicht. Vom freundlichen Bodenpersonal erhält man einen 10 Euro Verzehrgutschein und darf dann mit zwei Trolleys und Gepäck den Flughafen ausgiebig erkunden. Also suchen hundertfünfzig geplagte Reisende zunächst den Kiosk auf, wo jeder einzelne die 10 geschenkten Euro Hunger stillend und möglichst effektiv ("was bekomme ich denn für die restlichen 70 Cent, bitte?") anlegen möchte. Sodann sucht man sich einen möglichst abgelegenen Schlafplatz, der nicht unbedingt taghell erleuchtet sein muss, und nachdem endlich einer gefunden ist, man sich auf hartem Boden zur Ruhe gebettet hat und die müden Augen zugefallen sind, erschallt die erfreuliche Aufforderung für alle Passagiere des leider abgebrochenen Fluges Nummer Soundso, sich doch bitte sofort zum erneuten Check-In zum Schalter Nummer Soundso zu begeben. Auch eine erneute Prozedur des gesonderten Sperrgut Check-Ins bleibt nicht erspart.

Kurz und gut, mit gerade mal neun Stunden Verspätung startet die Ersatzmaschine im frühesten Morgengrauen. Das Publikum, erfrischt vom erquickenden Aufenthalt am schönen Nürnberger Airport und intellektuell angeregt von interessanten Diskussionen mit Bodenpersonal, Check-In-Professionals und Kiosk-Bedienungen, tritt endlich gut gelaunt die Anreise an.

Bei strömendem Regen und dicken, grauen Wolken landet die Maschine am Urlaubsziel. Wie hieß doch gleich unsere Airline? Ah ja: "Sun Express"!

Die folgenden acht Tage - für manche unserer Mitflieger soll das ein ganzer Urlaub sein, wie wir hören - verbringen wir also im schönen Turgutreis. Siehe oben.

Alex von SY SAMM
Immerhin können wir die unverhoffte Wartezeit in der Marina nutzen und lassen uns ein neues Bimini und eine neue Sprayhood schneidern. Unser Freund Alex von der SY SAMM macht es möglich. Er ist schon seit ein paar Wochen hier, kennt Gott und die Welt und natürlich auch einen Fachmann vor Ort. Einen Türken, der in der Marina eine Schneiderwerkstatt betreibt. Er ist taubstumm. Wir blicken skeptisch drein. Hat ja schon unser Türkisch durchaus noch Potenzial zur Optimierung, wie sollen wir uns erst in osmanischer Taubstummensprache verständigen? Wird der Schneidermeister unsere Wünsche verstehen? Biminis und Sprayhoods gibt's ja nicht von der Stange. Und wird das in einer Woche klappen? Kurzerhand schleppt mich Alex in die Werkstatt, wir "diskutieren" meine Skizzen, begutachten Stoffmuster, verhandeln den Preis. Und schon ist der Auftrag erteilt.

Erwartungsgemäß wird es zeitlich sehr knapp. Den geplanten Starttermin müssen wir um einen halben Tag verschieben, aber gerade noch rechtzeitig werden Bimini und Sprayhood montiert, so dass wir den Weg hinauf nach Arki, nördlich im Dodekanes gelegen, heute noch schaffen können.

Einen fixen Termin für den heutigen Tag hatten wir auch nur deshalb, weil wir uns mit unseren Freunden Babs und Wolfgang von der SY ANAHITA 2 - den Lesern unserer Reisereportagen schon länger bekannt - auf der kleinen Insel Arki verabredet hatten. Keine zehn Minuten nach erfolgreicher Montage werfen wir die Leinen los und machen uns auf den Weg. Mit Einbruch der Dunkelheit erreichen wir die kleine Hafenbucht Porto Augusta auf Arki und legen Coco neben Anahita, wo uns die Crew schon mit einem kühlen Bier erwartet.


Arki
Anahita, Coco und Herta auf Arki


In den nächsten Tagen werden wir die Ägäis nach Westen durchqueren, mit kurzen Stopps in Patmos und Mykonos, um dann über die windigen Schwestern Tinos und Andros hinauf nach Euböa und in die Nördlichen Sporaden zu gelangen.



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