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Juni 2006 | Nördliche Sporaden

Schwellschein erster Klasse


Alonnisos und Panagia
Tagelang trödeln wir kreuz und quer durch die Nördlichen Sporaden: Alonnisos, Kyra Panagia, Skopelos, Skiatos. Grüne Inseln mit Pinien, Kiefern, Mandel-, Obst- und Olivenbäumen sowie nobler Architektur hier und da. Wohlhabende Griechen, aber auch Italiener, verfügen hier über Sommer-Residenzen.

Die weiter nördlich gelegenen Inseln, insbesondere Piperi, liegen in einem Meeresnationalpark und sind Refugium für die letzten Mönchsrobben im Mittelmeer. Das Befahren diese Gebietes mit Booten und das Betreten der Inseln ist verständlicherweise nicht gestattet. Das Wasser in diesem Gebiet soll zum saubersten des gesamten Mittelmeeres gehören.

Auf Alonnisos legen wir uns für eine Nacht an die nördliche Kaimauer des kleinen Hafens Patitiri. Ein Gerücht besagt, es gebe hier eine Robbe, die den Hafen als ihren Heimatort betrachtet und ihn fast täglich besucht. Wir treffen sie leider nicht an. Statt dessen entdecken wir bei einem Spaziergang zur Westseite der Insel wunderschöne Badestrände. Und das alte Hauptstädtchen oben auf dem Berg erlebt offenbar gerade einen zweiten Frühling. Vor allem Engländer scheint es hierher zu ziehen, aber auch Griechen und Italiener auf der Suche nach Ruhe, Romantik und Rundumsicht. Sie alle tragen zum internationalen Flair des kleinen Ortes bei.

Patitiri, am Kai
Patitiri, am Kai

Die noch immer andauernde Südwindlage drückt auch in den Hafen Patitiri Schwell hinein. Da unsere Nachbaryacht bei diesen unangenehmen Bedingungen ihrem Anker nicht völlig vertraut und mittels einer Leinenverbindung an unserem Vorschiff gesichert ist, ruckt Coco die ganze Nacht immer wieder kräftig ein, was den Schlaf der Crew in der Vorkabine nicht eben erfrischend macht. Am nächsten Morgen meinen Gerhard und Mimi mit verquollenen Augen und unverholener Mordlust im Blick, da sie nun durch ihre stundenlangen Qualen die seglerische Qualifikation "Schwellschein erster Klasse" erworben hätten, seien sie auch befugt, bei der weiteren Törnplanung ein Wörtchen mitzureden.

Kyria Panagia
Ruhe und Rundumschutz sind die Zauberworte, die sie wieder fröhlicher stimmen. Beides bietet die nördlich gelegene, menschenleere Klosterinsel Kyra Panagia (auch Pelagos oder Pelagonisos genannt) zur Genüge. Dort gibt es zwei erwähnenswerte natürliche "Häfen": Agios Petros im Süden und Planitis im Norden. Der nördliche ist der abgelegenere und - deutlich erkennbar - auch der geschütztere, vor allem gegen Schwell aus Süd. Klare Sache also, auf zum Salzwasser-Binnensee! Wir ankern inmitten grasgrünen Wassers, in der Nähe liegt eine Segelyacht, eine Motoryacht und ein Fischerboot. Ruhe rundum. Viel Zerstreuung an Land ist hier nicht geboten, also bleiben wir an Bord, lesen, schreiben, kochen. Zum Sonnenuntergang werden Spaghetti mit Krabben serviert.

Am folgenden Morgen ist die Crew fast schon unverschämt munter und ausgeschlafen. Hardrock dröhnt durch den Salon, der Duft von gebratenen Eiern und Kaffee zieht durch's Schiff. Solcherart morgenfröhliches Verhalten erfüllt in meinen Augen schon fast den Tatbestand der Meuterei! In Zukunft legen wir uns wieder in Lärm und Schwell, damit der Skipper morgens seine Ruhe hat ...

Blick nach Skopelos
Blick von Alonnisos nach Skopelos

Schon um 10 Uhr segeln wir luvseitig an Alonnisos vorbei gen Skopelos. Ein vierer Westwind baut vor dem Felsmassiv der Insel eine unschöne Welle auf, doch der Winddruck in den Segeln hält Coco in stabiler Seitenlage. So erreichen wir bald den Hafen von Skopelos. Die gewaltige Mole, hinter der wir ankern, schützt den Hafen und den Hauptort bestens gegen die Nordwinde. Der hübsche, unter Denkmalschutz stehende Ort liegt im Halbrund am Berghang. Schmale Gassen führen zwischen den weißen, mit Holzbalkonen verzierten Häuschen den Hang hinauf, dazwischen immer wieder kleine Kirchen, Läden und Tavernen. Dunkelgraue Schieferdächer wechseln sich ab mit roten Ziegeldächern. Die Uferpromenade ist gesäumt von Cafés, Tavernen und Restaurants, teils rustikal, teils auch ziemlich elegant.

Skopelos
Skopelos

Skopelos Mole
An der Mole in Skopelos' Stadthafen

Tomaten aus Skopelos
Hier probieren wir heute unser erstes Koukouretzi, eine griechische Spezialität, von der wir schon häufiger gehört, die wir aber bisher noch nirgendwo entdeckt hatten: in Schafsdarm am Spieß gebratene Innereien. Sehr - hmm, sagen wir - interessant. Deftig, aber durchaus lecker für den, der's mag. Ein oder zwei Ouzo sind danach jedenfalls zwingend nötig.

Per Mietmoped erkunden wir diese größte Insel der Nördlichen Sporaden. Mimi erkundet bei der Gelegenheit auch gleich noch die lokalen medizinischen Versorgungsmöglichkeiten: sie holt sich in der Klinik eine Spritze gegen Hexenschuss ab, der sie seit Tagen quält, der sie aber dennoch nicht vom heutigen Start zur Mopedtour abhielt. Das sind halt Nehmerqualitäten, solche hartgesottenen Leute sind auf jedem Schiff gesucht!

Die Mädels Gerhard am Steuer
Die Crew


Limin Panormos heißt unser nächster Ankerplatz. Eine bei den hiesigen Seglern beliebte, recht enge, aber gut geschützte Seitenbucht an der Westseite von Skopelos. Mehrere Schiffe liegen schon hier, alle rundum mit Landleinen am Wald befestigt. Raum zum freien Ankern gibt's hier nicht. Unsere Landleinen sind gerade fest, als die ersten Regentropfen fallen. Eine gute Gelegenheit für mich, zu versuchen, die Schaltpläne unserer Motorelektrik zu verstehen. Denn seit ein paar Tagen macht uns die Ladestromanzeige Sorgen. Gerhard drückt sich in den Maschinenraum, um dem Fehler dort vielleicht auf die Schliche zu kommen, während ich im Cockpit die Armaturentafel zerlege, deren Ladelampe muckt, und (in Ermangelung besser geeigneter elektrotechnischer Qualifikationen) eine "Reparatur" mit Hilfe des Wundermittels "WD40" versuche. Natürlich ohne Erfolg.

Dafür gibt's andernorts keinen Mangel an Elektrizität: am Himmel über uns Wetterleuchten, bald zucken Blitze. Es ist kühl, und kurz nach Mitternacht beginnt es, genau in unsere Bucht hinein zu pfeifen. Coco zerrt an der Ankerkette. Schlaftrunken entschließe ich mich, zur Absicherung unserer Nachtruhe den Zweitanker auszubringen. Um dem gleich erwarteten Regenguss und der Kälte nicht schutzlos ausgeliefert zu sein, zwänge ich mich schnell noch ins Ölzeug, dann laden wir den Fortress Aluanker nebst Bleileine ins Dingi. Ich klettere ebenfalls hinein, Herta bleibt an Bord um die Leine zu belegen. Angesichts des Seegangs und der Dunkelheit beordere ich dann noch Gerhard als Helfer hinaus zu mir in die finstere Nacht. Nicht minder schlaftrunken als ich springt er sofort an Deck und zack, ist er auch schon bei mir im Beiboot. In Shorts, mit nacktem Oberkörper. Nun komme ich mir zwar ein wenig overdressed vor, schiebe aber den Gedanken schnell zur Seite, schließlich haben wir eine Aufgabe. Als es dann endlich nach zwei, drei Anläufen vollbracht ist, flaut es wieder ab. Kein Regen mehr, kein Wind, alles ist ruhig. Kleinlaut schleiche ich zurück in meine Koje. Mit dem positiven Gedanken, dass eine solche Übung der Crew ja niemals schaden kann, schlafe ich ein.

Früh gibt es Rührei zu Deep Purple. Die Stimmung ist aufgeräumt, die Crew ist nicht nachtragend. Später, unter erneuten Regenschauern, verlegen wir uns in den wenige Meilen entfernten Hafen unterhalb des Bergdorfs Glossa, das wir spätnachmittags nach einem flotten, kraftraubenden Fußmarsch begutachten. Auch hier die regionaltypischen Holzbalkone, dazu herrliche Aussichten zur Nachbarinsel Skiathos und sogar bis hinüber zur Pilion-Halbinsel am griechischen Festland. Ein leicht verrücktes Mädchen begleitet uns fröhlich schnatternd, greift nach allem, was nicht niet- und nagelfest ist, nach Caps, Jacken und Kameras, bis sie uns zu aufdringlich wird und wir sie schließlich abschütteln können. Hier oben gibt es auch einen Geheimtipp unserer Freunde von der SY MICHELLE, ein besonders gutes Restaurant (leider habe ich den Namen vergessen), doch den Zutritt verbietet uns Mimi; es ist ihr zu "schickimicki", sie möchte lieber in ein typische griechische Taverne "mit den Füßen im Wasser". Ok, das können wir verstehen - wir haben das ja täglich, aber sie nicht. Nach einem letzten wehmütigen Blick auf die verführerischen Gerichte auf der Karte und einem kleinen Glas Wein zur Stärkung traben wir also los, wieder bergabwärts, bis wir den Hafenort erreichen. Natürlich finden wir alsbald auch dort eine Taverne mit zünftigen Fischmahlzeiten und griechischer Musik. Nachdem Gerhard dem Wirt auch noch die CD abschwatzt, sind wir mit der Wahl zufrieden und versöhnt.

Coco vor Skopelos
Was ist bloß mit dem Wetter los? Wir befinden uns im "warmen" Süden, der Hochsommer rückt näher, und doch werden die Temperaturen immer frostiger. Das Thermometer sackt deutlich unter das Zwanziger-Limit ab. Am Olymp soll es schneien, im Radio hören wir Berichte von einer Kältewelle (1 Grad Celsius!) in Süditalien. Passend dazu legen wir unter kühlen Windböen und Regenschauern ab, dick eingemummt gelingt uns dennoch ein passabler Segelschlag hinüber nach Skiathos.

Im Naturhafen vor der Hauptstadt ankern wir, direkt im Bereich der Einflugschneise. Skiathos ist die bunteste, lärmendste, turbulenteste der Sporadenschwestern. Die Insel der Kneipen und Nachtclubs, der Jetbikes, zentraler Dreh- und Angelpunkt des vorwiegend britischen Massentourismus mit besten Flughafen-Anbindungen und Direktflügen aus England. Entsprechend laut geht es zu. Alle zehn Minuten donnern Düsenjets über die Mastspitzen der Ankerlieger hinweg, es herrscht ein Kommen und Gehen, Yachten, Fähren und Passagierschiffe laufen ein und aus, (nicht nur) das Wasser ist in ständigem Aufruhr.

An diesem zentralen Ort gibt es natürlich auch eine Sunsail-Basis. Dort fragen wir nach einem Elektriker und werden sogleich fündig. Am frühen Abend kommt Jason an Bord und wird ebenfalls fündig: ein defektes Relais und ein gebrochenes Kabel sind die Ursache unserer elektrischen Probleme. Die Reparatur vereinbaren wir für morgen, denn heute ist nicht mehr viel Zeit. Heute abend steht Sport auf dem Programm: das Eröffnungsspiel der Fußball-WM, Deutschland gegen Costa Rica. Doch welche Enttäuschung - weder Griechen noch Engländer interessieren sich für das Spiel. Außer unserem Grüppchen kein Fan weit und breit! Wir rücken die Deutschland-Caps auf dem Kopf zurecht und machen uns auf die Suche nach einem Bildschirm, über den das Spiel flimmert. Irgendwann finden wir auch einen in einem Café am Straßenrand. Zwar ohne Ton, dafür dudelt die Musik des Cafés in voller Dröhnung. Macht aber nichts, Deutschland gewinnt trotzdem mit 4:2. Das Ergebnis wird hier allerdings weitestgehend ignoriert. So hatten wir uns das im vereinten Europa eigentlich nicht vorgestellt.

Am nächsten Morgen ist die Freude über den Sieg und die Enttäuschung über die mangelhafte Begeisterung verwunden. Wir verlegen Coco an den Steg der Charterbasis, wo Jason sich der Motorelektrik annimmt. Bald funktionieren alle Systeme wieder - abgesehen vom neuen Drehzahlmesser, den wir in Turgutreis haben einbauen lassen und der ebenso falsch anzeigt wie der alte. Egal, wir wissen ja, wie sich die richtige Drehzahl anhören muss ...

Abmustern
Die Crew mustert ab

Hier auf Skiathos mustert nun unsere bestens bewährte Crew ab. In Ölzeug und Badeschlappen gegen den strömendem Regen begleiten wir die beiden zur Anlegestelle ihrer Fähre, wechseln noch ein paar Worte - und schon sind sie weg. Für unseren Geschmack war die Zeit zu kurz. Ein wenig trauern wir der ausgesprochen schönen Zeit mit den beiden nach. Diese Crew hat hundertprozentig gepasst! Gewitter und Regen passen zu unserer Stimmung.

Langweilig wird es uns dennoch nicht. Immer wieder verursacht der Schwell der an- und ablegenden Fähren einen abenteuerlichen Tanz der Yachten an der Kaimauer von Skiathos. Während wir uns noch angeregt darüber mit unseren englischen Nachbarn von der SY PROMISE unterhalten, schnappt sich eine andere Yacht unseren Anker und fährt ihn spazieren, bevor sie ihn quer drei Yachten weiter rechts fallen lassen. Super. Das zwingt auch uns zu einem neuen Anlegemanöver. Aber was soll's - wer rastet, der rostet. Dazu kommen noch ein paar eilige Internet-Jobs, die der Skipper im örtlichen Internetcafé mit schneller und preisgünstiger WLAN/DSL-Anbindung gut per Notebook erledigen kann.

"Hallo Coco de Mer! Seid ihr nicht die mit dem Buch ...?" Ein Mann steht draußen am Kai und winkt herüber. Wie sich herausstellt, kennt er unser Buch und daher auch uns und unser Schiff. Da schlägt das Schriftstellerherz doch gleich ein paar Takte freudiger, wenn man so zweifelsfrei als "literarische Berühmtheit" erkannt wird! Wir bitten Gottfried, Skipper der SY HARMONY, zu uns an Bord. Schnell vergeht die Zeit mit Geplauder über das Woher, Wohin, Warum, Wie lange. Abends statten wir einen Gegenbesuch ab, klönen und öffnen dabei die eine oder andere Flasche. Wie es der Zufall so will, wollen auch Gottfried und Gabi nach Chalkidiki hinauf, also verabreden wir lose, vielleicht in nächster Zeit ein paar Schläge gemeinsam zu segeln.

Doch zuerst planen wir noch einen Abstecher in den Golf von Volos, während die HARMONY in den nächsten Tagen die Sporadeninseln besuchen will. Beim Ablegen - Herta ist heute Steuerfrau - penne ich und vergesse meinen Auftrag, uns vom Tauchboot neben uns abzudrücken. Herta biegt es aber hin und kommt gerade noch aus der Lücke, ohne dass wir uns des Nachbars Ankerleine einfangen. Puh, das war knapp. Eingemummt in dickes Fleece segeln wir nur mit Genua vorm Wind zur Bucht von Koukounaris, deren Strand als der schönste ganz Griechenlands, wenn nicht gar des gesamten Mittelmeers, angepriesen wird. Wir finden, dass die Realität doch ein Stück weit entfernt ist von den wunderbaren Weisen der Werbetrommeln des örtlichen Tourismusverbands. Gewiss, es ist recht nett, aber doch beileibe nicht das versprochene paradiesische Idyll. Reihenweise Sonnenschirme am Strand, Menschenmassen tummeln sich, aber das war ja zu erwarten. Aus seglerischer Sicht sind die Ankermöglichkeiten in dieser weit offenen Bucht eher mittelprächtig, auch, weil Motorboote mit Gummibananen, Wasserski und Jetbikes sich wie wild durchs Wasser wühlen. Im Osten der weitläufigen Bucht befindet sich ein etwas abgelegener Strand, dort - unterhalb eines Hotelkomplexes und soweit wie möglich abseits vom Hauptrummel - legen wir uns für die Nacht vor Anker. Das Angebot an Tavernen ist unterdurchschnittlich, die Auswahl an Speisen deutlich auf den Geschmack englischer Touristen ausgerichtet. Wir kommen zu dem Schluss, dass Koukounaris sich nicht wesentlich von vielen anderen schönen Stränden unterscheidet und der ganze Hype um diesen "schönsten Strand Griechenlands" etwas übertrieben ist. Man kann schon mal vorbeischauen, sollte sich aber nicht allzuviel erhoffen. Aus Seglersicht, natürlich.



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