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Sardinien / Juli 2001

Dolce Vita und Schwerwetter

Die Rügen und Mahnungen häufen sich in letzter Zeit, so daß ich mich nun doch zur Reaktion genötigt sehe. In Anbetracht des täglichen Stresses dem man als Segler so ausgesetzt ist (Einkaufen, Bad putzen, Cockpit mit Canubawachs polieren, schnorchelnd Ankerhalt prüfen, Radfahren, Schiffsausrüster besuchen, Batterien laden, Wasser bunkern, Buch über Dieselmotoren lesen, Buch über Außenbordmotoren lesen, Italienisch lernen, Obstsalat machen, Abwasch, Rotwein verkosten, kaufen und zum Schiff schleppen.....) bitte ich um großzügige Nachsicht. Ich tue mein Bestes!


Unser Ankerplatz vor den Ruinen von Tharros

Vor gut vier Wochen waren wir ja nun gerade in Sardinien angekommen und glücklich über die schöne und leichte Überfahrt. Wir ankerten zunächst im Golf von Oristano, kaum hundert Meter entfernt von den Ruinen der alten punisch-römischen Stadt Tharros. Unsere wichtigste Sorge der ersten Tage war, den Bestand an spanischem Tinto zu reduzieren, um Platz für sardischen Rosso zu schaffen. Das ist uns ohne nennenswerte Anstrengungen gelungen. Ansonsten war Ausruhen angesagt.

Erholt und gestärkt bringen wir am zweiten Tag (2. Juli) unsere Klappmountainbikes im Beiboot an Land. Sofort bildet sich ein kleiner Menschenauflauf, alle wollen wissen woher, wohin, was sind das für Räder, quanto costano... Die Radlbegeisterung ist auch in Sardinien groß. Als ausgewiesene fanatische Biker (wer sonst würde nahezu den gesamten Platz im Salon für zwei Klappräder opfern?) dürfen wir natürlich auch das Dingi am Anlegesteg der Fischer parken, gar keine Frage!


Flaggenwechsel - Mountainbiking

Die ersten Tour führt uns gleich zwanzig Kilometer weit, nach Oristano, in der größten Mittagshitze, natürlich. Alle Geschäfte haben von 13 bis 17 Uhr geschlossen, hätten wir ja auch dran denken können! Also gönnen uns erst mal einen wunderbaren Eiscaffe alla Vaniglia. Gegen 1700 öffnen nach und nach die Läden. Wir kaufen die zwei momentan wichtigsten Dinge: eine italienische Handy-Telefonkarte (für Internetzugang) und ein Wörterbuch. Fremdsprachen sind hier nicht so gefragt; mit Deutsch und Englisch kann praktisch niemand was anfangen. Wenn überhaupt, dann mit Französisch. Macht nichts, das schadet uns sicher nicht, und ist außerdem meist ziemlich lustig. Die Sarden sind sehr rücksichtsvoll und geben sich die allergrößte Mühe, wenn sie merken, daß man es nur versucht. Das Grundrezept ist einfach: viel gestikulieren und laut reden. Was, ist nicht so wichtig, Hauptsache es ist laut und klingt. Man kann ja deuten. So entwickeln sich die Gespräche meist zu wort- und gestenreichen Schauspielen, und am Ende versteht man sich.

Einigermaßen jedenfalls. Auf diese Weise komme ich noch am selben Tag zu einer kompletten Angelausrüstung. Eigentlich wollte ich mich als absoluter Laie nur mal informieren, z.b. welche Ausrüstung empfehlenswert ist, welche Köder gut sind, wie denn so eine Spule funktioniert... Doch da nimmt die Entwicklung schon ihren Lauf: nicht nur der Verkäufer nebst Frau und Familie, auch die gerade anwesende Kundschaft nimmt schnell regen Anteil. Und so kann jeder etwas beitragen, die Articoli häufen sich auf dem Tresen, Bleigewichte nicht vergessen, und außerdem braucht man noch diesunddas. Schon bin ich stolzer Besitzer einer professionellen Angelausrüstung! Eine stunde hat das Ganze gedauert, wir sind mittlerweile buoni amici und nennen uns alle beim Vornamen.

Um es gleich vorweg zu nehmen: angebissen hat noch nichts. Doch das liegt sicher an mir oder falschen Ködern oder einfach an den cleveren Mittelmeerfischchen, oder an allem zusammen. Ezio, ein sardischer Fischer, den wir kennengelernt haben (aber das ist eine andere Geschichte, dazu später mehr) erzählte uns auch, daß der Fischfang sehr schwierig geworden ist. Das tröstet mich, wenn selbst die Profis jammern!

Schnell verfestigt sich der Eindruck, daß die Sarden äußerst herzliche und aufgeschlossene Menschen sind. Egal ob im Mercato oder im Gemüseladen an der Ecke, ob in der Marina oder im Ristorante, Freundlichkeit ist der Normalfall. Und man nimmt sich Zeit.


Coco vor Anker im Golf von Oristano

Am vierten Tag verlassen wir unseren Ankerplatz mit Kurs Nord. Das Baro beginnt zu fallen, aber es ist schön und die Wettervorhersage paßt. Da der Wind aus Nordost kommt, ankern wir in einer nach Süd offenen Bucht am Capo Mannu. Gegen abend dreht der wind innerhalb einer viertel Stunde auf Südost, es ist trocken und sehr heiß. Das Baro steht jetzt auf 1008, gestern 1018. 10 Hektopascal innerhalb eines Tages: schlechtes Zeichen. Es kommt wie es kommen muß, nachts steht eine kräftige Brise aus Süd in unsere Bucht und wir werden schön durchgeschaukelt. Leicht genervt höre ich um 0330 die supergute und zuverlässige italienische Wettervorhersage über UKW-Funk ab: Südost 6. Nicht schön für unseren Ankerplatz. Kurz nach 0800 beschließen wir genervt: weg hier! Da es an diesem Küstenabschnitt kaum einen geschützten Ankerplatz gibt, wollen wir zirka dreissig Seemeilen hinauf nach Norden in die geschützte Marina Bosa oder gleich weiter in die vielversprechende Kleinstadt Alghero, je nach Wetterbedingungen. Die Windvorhersage ist zwar nicht unser Traum, aber von achtern, das geht schon... Nun, da irren wir uns gewaltig...! Als wir draußen sind, steht unsere Windanzeige sogleich auf 8 Beaufort, in Böen pfeifen uns bis zu 42 Knoten um die Ohren und wir werden kräftig geduscht. Coco macht 8 Knoten Fahrt mit Minimalstbesegelung, das ist Höchstgeschwindigkeit. Längst tragen wir Schwerwetterklamotten, Schwimmwesten und sind mit Lifebelts am Schiff gesichert. Die Wellen schütteln uns gewaltig durch, Achterbahnfeeling. Ständig kommt Wasser über. So kann das nicht weitergehen. Also wenden wir nach ca 8 SM und brettern ein Stück gegenan, Ziel ist die nördliche Einbuchtung am Capo Mannu. Nach unserer Karte müßte dort gut haltender Sandgrund sein, und der Schwell müßte erträglich sein, weil ablandig. Als wir ankommen ist keiner da, wen wundert's. Hier werfen wir erstmal Anker und wollen die weitere Entwickung abwarten. Bequem ist es nicht, aber es geht. Wir geben Kette was wir haben. Abends kommt noch ein zweiter Segler rein, der es sich vermutlich draußen auch anders vorgestellt hat...


Tag und Nacht Starkwind - das nervt!

Einen Tag und eine Nacht kachelt's durch. Am übernächsten Morgen pfeift immer noch ein sechser Wind. Wir überlegen unsere weiteren Pläne. Der Forecast sagt abflauend voraus, dann aber wieder Starkwind. Die Lücke wollen wir nutzen.

Während wir noch diskutieren, beobachten wir, wie zwei Jungs in einem Ruderboot gegen Wind und Wellen kämpfen; sie haben ganz offensichtlich gegen den Wind keine Chance und sind dabei, in Richtung offene See abgetrieben zu werden. Nach wenigen Minuten sind sie schon ein ganzes Stück weit draußen, obwohl sie wie die Irren paddeln. Wir versuchen, ein Fischerboot aufmerksam zu machen, das gerade Richtung Ufer dampft, doch bei dem Wind hören die selbst unsere schrille Notsignalpfeife nicht. Keine Reaktion. Der italienische Segler nebenan hat das Malheur auch bemerkt und versucht es nun mit seinem Signalhorn, ebenso ohne Erfolg. Also gehen wir kurzentschlossen ankerauf, Seenotrettungskreuzer Coco de Mer. Als wir gerade Fender und Leinen klar haben und uns über all das Getöse von Wind und Wellen mit den Jungs im Ruderboot verständigen wollen, kommt dann doch noch der Fischer und übernimmt die Sache mit seiner starken Maschine. Glück gehabt, wir alle zusammen.

So, wo wir nun schon mal ankerauf und draußen sind, denken wir uns, da können wir auch gleich weitersegeln nach Alghero. 5er Wind achterlich, das ist okay. Also setzen wir die Segel und zischen ab nach Norden. Ich teste mein neues Angel-Equipment, Erfolg: wie gehabt! Im Lauf des Tages flaut es ab bis auf 4 Bft, und am frühen Abend erreichen wir unser Ziel.


Die Skyline von Alghero

Wir liegen nun am öffentlichen Stadtkai, gleich unterhalb der Stadtmauer und damit praktisch in der "City". Am Abend machen wir uns landfein. Beim Shopping halten wir uns zurück, aber ein schönes Buch mit Luftaufnahmen der nordsardischen Küstenabschnitte kaufen wir doch. Kann man erfahrungsgemäß beim Segeln ausgezeichnet brauchen (wie sich später auch noch zeigen wird...). Ansonsten genießen wir Campari und "Großstadtflair".


Streetlife in Alghero


Alghero bei Nacht

Am nächsten Tag handeln wir gestenreich die völlig überhöhten Liegegebühren von 130 auf 100 Mark runter, und machen uns wieder auf den Weg. Es ist Sonntag, alle Segler und Motorbootler sind auf Achse, entsprechend voll ist das Revier vor der Küste. Nahkampftag, mal was anderes. Nur den Mut nicht verlieren, sage ich mir, und hänge die Angel raus, probiere nacheinander alle drei Schleppköder aus, was soll ich sagen... Ansonsten ist's ein herrlicher Segeltag! Trotz der Enge schaffen wir es ohne Kollissionen und Blessuren. Am frühen Abend segeln wir hinein in die riesige Bucht von Porto Conte und nehmen Kurs auf eine hübsche kleine Seitenbucht. Hier bleiben wir ein paar Tage. Es ist warm, wir lassen's ruhig angehen und vergnügen uns mit dem Einbau der neuen Toilettenpumpe. Im Übrigen vertreiben wir uns die Zeit mit Lesen, Spazierengehen, Schnorcheln, Kochen und Essen, und genießen die schöne und bizarre landschaftliche Szenerie.


Porto Conte und Capo Caccia

Freitag, der Dreizehnte! Wir sind nicht abergläubisch und machen uns wieder auf den Weg. Heute wollen wir durch die enge und flache Fornelli-passage an die Nordküste, so sparen wir zwanzig Meilen rund um die Gefängnisinsel Asinara. Leider haben wir keine Seekarten von dieser Ecke, aber im Handbuch ist die Passage recht ausführlich beschrieben. Also ankerauf. Um 1300 umringt uns ein fröhliches Grüppchen Delfine. Um 1400 empfangen wir eine Funkmeldung: "Segelschiff auf Grund in der Fornelli-Passage!" Na super. 1445 Funkspruch: gale warning, Sturmwarnung. Die Spannung steigt, wir glauben auch schon am Horizont voraus dunkle Wolken zu erkennen... In der Nähe ist ein italienisches Segelboot, ortskundig, nehmen wir an. Wir halten darauf zu und fragen den Skipper, ob er sich auskennt und ob wir ihm durch die Passage folgen dürfen. Claro. Also setzen wir uns hinter ihn. Nach einer Weile erkennen wir die beschriebenen Peilmarken, doch die Italiener halten weiter Kurs. Bald haben wir die Peilmarken in Deckung, Italien segelt weiter. Also dann doch auf eigene Faust! Irrtum ist ausgeschlossen, hier geht's durch. Leider haben wir bißchen viel Wind und vor dem flachen Wasser baut sich Schwell auf, aber das ist halt so, sobald es mal enger wird... Wir halten die Luft an, steuern genau nach Handbuch, und nach zwanzig Minuten sind wir durch! Ruhiges, türkisfarbenes Wasser auf der anderen Seite, zahlreiche Ankerlieger. Gleich ist es viel angenehmer. Wir atmen auf.


Blick auf den Hafen von Castelsardo


In den Gassen von Castelsardo

Bald steuern wir Castelsardo an, einen Ort, dessen lehm- und ockerfarbene Häuser sich eindrucksvoll rund um einen Hügel gruppieren, darüber das Castello und die Kirche mit der berühmten, gekachelten Kuppel. Ein einmaliger Anblick. Drei Tage verbringen wir hier. Erstens weil es uns gefällt, zweitens ist die Marina billig, und last not least haben wir mal wieder Starkwindwarnung für die Region. Die Altstadt mit ihren steilen, verwinkelten Gäßchen lohnt durchaus ein paar Tage Aufenthalt. Am Abend gibts einen kurzen Schauer, den ersten seit langem, nicht viel, grad genug um unser frisch geputztes Deck wieder einzusauen.


Die Burg von Castelsardo

In Anbetracht der Wetteraussichten mieten wir einen knallblauen Lancia Y und erkunden das Hinterland, die Gallura. In Sassari, der Hauptstadt der Region, bekommen wir endlich die lang gesuchte Seekarte vom Maddalena Archipel. Aufs flache Land muß man fahren, wenn man Seekarten sucht!

Für mich markiert dieser Ausflug einen wesentlichen Lebenseinschnitt. Da es hier so viele Otticos gibt, nutze ich die Gelegenheit gleich für einen Augencheck. Der Dottore staunt über meine Adleraugen, was die Fernsicht betrifft. Doch beim Zeitungslesetest schüttelt er vielsagend den Kopf. Zwei Stunden später bin ich Brillenträger. Lesebrillenträger zumindest. Gewöhnt euch schon mal dran!


Ab sofort nur noch mit Brille :-(


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