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Sizilien-Egadische Inseln / Oktober 2001

Inselleben und Werftabenteuer

Heute Abend essen wir an Bord, in "unserer" Werft in Trapani. Herta kocht. Kulinarisch scheint Trapani absolutes Entwicklungsland. Das lokale Highlight ist Fischkuskus: gedünsteter Weizengrieß, mit einer Fischsauce serviert, nein, eigentlich ist es eher eine Art dünne Fischbrühe, also eigentlich warmes Wasser mit mehr oder weniger intensivem Fischgeschmack. Also man hat dann gewissermaßen gewässerten gedünsteten Weizengrieß... hört sich an wie's schmeckt.

Also, wie dem auch sei, heute ist unser letzter Tag zu Wasser. Morgen früh wird Coco gekrant und an Land gestellt. Dann sitzen wir wieder auf dem Trockenen. Wir werden noch eine letzte Nacht an Bord kampieren, bevor es für eine knappe Woche quer durch Sizilien geht, per Mietwagen.

Seit zwei Tagen liegen wir nun in der Werft. Es stinkt, Abfall und tote Fische treiben fröhlich im Hafenwasser, und vor den Werfttoren schiebt der Wind eine bunte Müllvielfalt vor sich her. Doch für die Schönheiten der Umgebung haben wir zurzeit ohnehin keinen Sinn. Wir haben Schwielen an den Händen vom Putzen, Polieren, Wachsen, Ölen, Fetten, vom Stauen, Zerren und Zurren. Derart harte körperliche Arbeit ist uns ja eher fremd, wie jedermann weiß. Doch Coco ist bald landfein, pieksauber. Kein Stäubchen findet sich mehr im Schiff, die Außenhaut ist dick konserviert, alle Lager und Blöcke sind geschmiert, Silikonfugen sind erneuert, die Bilge ist trockengelegt, die Hölzer eingeölt, die Maschine blitzt und blinkt wie neu. Selbst die Chromleuchten in den Kabinen haben einen feinen Ölfilm abbekommen. Da rostet nix mehr, bis wir nächstes Jahr zurückkommen, jede Wette! Morgen werden wir noch packen, viel ist es ja nicht, das meiste bleibt auf unserem schwimmenden Zweitwohnsitz. Eine Tasche mit Büchern, eine mit Klamotten, mein Notebook, das war's im wesentlichen.


Die Segel werden verstaut

Die Werft in Trapani haben wir ausgesucht, weil sie für unsere Pläne günstig liegt, weil sie preiswert ist (billig im vergleich zu den Balearen), weil Coco hier sicher an Land stehen kann, und weil Pietro, der General Manager, nach eigenem Bekunden all unsere Wünsche möglich machen will. Die von uns aufgezählten notwendigen Winterarbeiten seien alle "no problemo". Doch trotz unserer derzeit geruhsamen Lebensart haben wir mit der sizilianischen Arbeitsweise noch so unsere Schwierigkeiten. Ein Beispiel: wir wollen, daß die Segel nicht nur gewaschen, sondern auch geprüft und wo nötig repariert werden. Die Verständigung bei der konkreten Abwicklung des Auftrags muß man sich dann etwa folgendermaßen vorstellen (mehrsprachig, natürlich):

Vormittag: "Pietro, die Segel müssen gewaschen und repariert werden." - "Ok, no problemo, machen wir." - "Super, wann?" - "Schicke gleich jemanden, dieci minuti." --- Drei Stunden später, am Mobiltelefon: "Pietro, wo ist der Segelmann?" - "Ääh, wer?" - "Na der Segelmann. Sollte doch gleich kommen!?" - "Aah, ja, kommt gleich!" - "Ok, perfetto." --- Gegen Abend: "Pietro..." - "Ciao, come stai?" - "Äh, ja, danke, gut. Sag, wo ist der Segelmensch?" - "Wer?" - "Na, der Segelmensch, der Mann für die Segel, specialista per vele!" - "Wie bitte?" - "Ok, pass auf, ich komm mal rüber." --- Im ufficio: "Pietro, die Segel sollen doch gewaschen..." - "Jajaja, ich weiß. Heute ist aber keiner mehr da, kommt gleich morgen früh!" - "Wann, früh?" - "Wann ihr wollt!" - "Ok, sagen wir um zehn?" - "Gut, zehn, schönen Abend noch, sonst alles a posto? Wohin geht ihr essen?" (uswusw...). --- Am nachsten Tag, so gegen Mittag, am Handy: "Pietro! Der Segelmensch! Wann??" - "Subito!" - "Prego, veramente, pronto!" --- Und tatsächlich, schon kommt auch einer, ein kleiner alter Mann. Das also ist der Segelspezialist der Werft? Aha. Der Mann regt sich erst mal auf, keine Ahnung was los ist. Nach einigem Hinundher ist klar: er wurde geschickt die Segel zu waschen. Aber ja, das wissen wir. Nur, WO soll er das denn machen, auf dem Teerboden vielleicht? Ja wasweißdennich, SIE sind doch die Fachleute, soll er halt bitte mit seinem Chef abklären! Also ruft er Pietro. Der meint, den Boden mit Dampfstrahler abspritzen, dann paßt das. Wir wundern uns ein wenig, sagen aber nichts, schließlich sind das ja Spezialisten. Nach der solcherart durchgeführten fachmännischen Reinigung taucht wohl die Frage des Trocknens auf; flugs sind ein paar rostige Eisengerüste zusammengestellt und die Segel mit Brettern darauf "fixiert" (DAS haben wir glücklicherweise nicht direkt gesehen, sondern erst später...!). Am nächsten Morgen liegen die Segel noch immer da, allerdings nicht auf dem "Trockengestell", sondern daneben, im Dreck. Über Nacht hat sie der Wind runtergeweht. Nun ist es genug! Ich protestiere: "So geht das nicht. Ihr habt doch wohl einen Fachmann, einen Segelmacher oder sowas?" - "Ja, certo, aber nicht hier. In palermo!" - "Ah ja. Na, gut, dann schicken wir eben die Segel zum Check dorthin!" --- Gesagt, getan, so vereinbaren wir das; ist ja alles "no problemo". Na wir werden sehen, wo unsere Segel nächstes Jahr sind, wenn wir wiederkommen...

Doch nun zurück zu den letzten Törn-Tagen:

Nach unserem sehr beeindruckenden Aufenthalt in Palermo ging es weiter an der sizilianischen Nordküste, zunächst mit Ostkurs. Im Hafen von Cefalu treffen wir Freunde von den Balearen. Das Wiedersehen feiern wir in einer netten Trattoria in dem mittelalterlichen Ort. Klaus und Gerda segeln am nächsten Tag weiter zu den liparischen Vulkaninseln. Wir bleiben noch einige Tage hier vor Anker und erkunden Cefalu und die Umgebung. Auch einen Berg, den Rocca di Cefalu, gilt es zu besteigen. Unser grenzenloser Konsum der berühmten sizilianischen Süßspeisen (die wirklichen kulinarischen Highlights der Insel!) machen uns solche sportlichen Aktivitäten nicht gerade leicht, doch natürlich meistern wir schließlich auch diese Herausforderung.


Cefalu

Seglerisch ist die Nordküste Siziliens für uns keine große Freude. Wir erleben harte See, schlechtes Wetter, haben Probleme, geeignete Liegeplätze für die Nacht zu finden. Kulturell ist die Region dagegen äußerst interessant, und auch landschaftlich. Eines schönen Tages schaffen wir sogar noch unsere lang ersehnte Wanderung durch den Zingaro Nationalpark. Der Zingaro liegt bei San Vito. Dieser Name wird aufmerksamen Lesern dieser Reiseberichtserie bekannt vorkommen...! Ja, tatsächlich, da waren wir schon mal. Dann ist euch auch aufgefallen, daß wir uns nun schon auf dem Rückweg befinden.

Von Cefalu geht es also zurück nach Palermo, wo wir in der Bucht von Mondello, dem angesagten Wochenendziel der Palermitaner, ankern wollen. Doch leider macht uns das Wetter wieder mal einen Strich durch die Rechnung. Auflandiger Wind und Schwell, Ankern ist nicht. Also Hafen! Da in unserem bekannt-bewährten, schmuddelig-schönen Altstadthafen heute leider wirklich kein Platz mehr frei ist, legen wir uns für zwei Nächte in den neuen, aber recht unpersönlichen Sportboothafen, und warten ab daß es draußen besser wird. Nach zwei teuren Nächten (120 DM je Nacht!) fahren wir dann also unter Maschine bei brutaler Welle - doppelt stutgerongestärkt! - genau gegenan, nach nach San Vito. "Gentlemen never go windward" ist eigentlich ein kluger Ratschlag, aber wir wissen's ja besser! Und bekommen prompt die Quittung präsentiert. Laut Handbuch baut sich an dieser Küste wegen des besonderen Tiefenprofils eine derartige Welle auf, daß sie kleinen Booten gefährlich werden kann. Wir haben es überprüft, es stimmt! Zweimal denken wir an's abdrehen, doch dann gäbe es nur eine Alternative: zurück. Dann denken wir uns, wenn Coco das mitmacht, können wir uns auch nicht hängen lassen. Für Kurzweil ist also gesorgt, und nach viereinhalb Stunden laufen wir schließlich in San Vito ein. Unseren Sundowner nehmen wir heute kräftig gerührt und geschüttelt.


Der Sandstrand bei San Vito lo Capo

San Vito ist bekannt für seine günstige Lage in der Nähe zum Nationalpark. Also suchen wir die Tourist Information auf und fragen nach den Busverbindungen. Doch Fehlanzeige: kein Bus, kein Taxi. Wir überlegen mit dem Fahrrad hinzufahren. Doch nach den zwölf Kilometern hätten wir dann wohl kaum noch Lust auf eine lange Fusswanderung, zumal wir ja auch noch zurück radeln müßten; und es ist durchaus bergig hier. Doch neben uns liegt ein Charterschiff mit italienischer Crew, zwei Pärchen in unserer Altersklasse. Wir kommen ins Gespräch, auch die wollen den Park besuchen. Und tatsächlich, sie finden im Ort jemanden, der uns alle mit seinem Wagen hinbringen und wieder abholen will. So verbringen wir doch noch einen Tag im Naturpark, die vier Italiener an einem der unberührten Badestrände, wir Deutschen auf Schusters Rappen. Nationalitätsunterschiede, Mentalitätsunterschiede. Südländer halten uns Nordeuropäer für nicht ganz normal im Kopf, wenn wir uns zwischen dreizehn und siebzehn Uhr in freier Natur körperlich betätigen... Trotzdem, für uns lohnt sich die Mühe, wir wandern über gepflegte Wege zwischen Meer und Berghängen entlang und genießen wunderschöne Aussichten.



Im Zingaro Nationalpark

Mit unseren neuen italienischen Freunden verabreden wir uns zum Abendessen. Unser Fahrer hat dazu einen absoluten Geheimtipp. Und wahrhaftig, unter all den kulinarisch zweifelhaften Touristenschuppen findet sich bei "Bruno Bruni", etwas abseits gelegen, ein exzellentes Lokal mit hervorragenden Antipasti und dem absolut besten Fisch unseres Törns! Drei Gänge, dazu ein guter sizilianischer Weißwein, und wieder alles zusammen gerade mal vierzig Mark! Überhaupt, die Weine: auf den Karten finden sich kaum je Weine über dreißig Mark; und gute, einfache Tischweine kosten selten mehr als 10 Mark. In dieser Hinsicht ist Sizilien ein Paradies, zweifellos!

Zwei Tage später kehren wir der Nordküste endgültig den Rücken. Unser Ziel ist Favignana, die größte Insel des egadischen Archipels, westlich vor Sizilien gelegen. Die drei kleinen Inseln haben wir damals nach der Überfahrt von Sardinien praktisch nur im Vorübergehen gesehen. Diesmal wollen wir für ein paar Tage bleiben und Favignana erkunden, die über eine Seltenheit in dieser Gegend verfügt: drei gute Ankerplätze! Gegen fast jede Windrichtung kann man Schutz finden. Zunächst werfen wir Anker in einer namenlosen Bucht im Südosten und treffen unerwartet unsere italienische Chartercrew aus San Vito wieder. Nach einem kurzen Schnorchelgang im kühlen Wasser nehmen wir freudig die Einladung zum Mittagessen an. Die Bordküche tischt kräftig auf. Währenddessen sagen die Wetterberichte Sturm oder Gewitter oder gleich beides zusammen voraus. Wir sind uns alle einig, unter diesen Vorzeichen wäre ein Hafen gut.


Italienischer Besuch auf Coco

Der kleine Fischerhafen von Favignana ist allerdings für balearenverwöhnte Segler eine echte Herausforderung. Der Haupthafen ist mit zwei Reihen von Fischerbooten voll belegt. Daneben soll es zwar noch Anlegenmöglichkeiten im Becken des örtlichen Segelclubs geben, Genaueres ist aber nicht zu erfahren. Am UKW-Funk antwortet keiner. Von außen kann man nur sehen, daß es eng ist. Während wir noch eine Warteschleife auf Beobachtungsposition drehen, läuft ein kleines Segelboot an uns vorbei - und geht prompt auf Grund; die freundlichen Carabinieri helfen beim Bergemanöver mit ihrem starken Schnellboot. Wir sind nun gewarnt und drücken uns ganz nahe am Kai vorbei und gelangen so unversehrt, wenn auch knapp, an einen der wenigen, für unseren Tiefgang geeigneten, Liegeplätze im Clubbecken.

Der einzige Ort der Insel, benannt nach der Insel - oder umgekehrt? - ist recht hübsch und bietet einige Bars und Trattorias unmittelbar in Hafennähe, was auf den italienischen Inseln eher die Ausnahme ist. Die Straßen sind mit großen Steinen gepflastert, den Häusern sieht man den nordafrikanischen Einfluß deutlich an, es gibt eine schlichte kleine Kirche und mehrere Piazzas, auf denen sich das beschauliche Leben abspielt. Ansonsten scheint die Insel sich dem Alternativtourismus verschrieben zu haben, zumindest den Gesichtern und Gestalten vieler Touristen nach zu urteilen. Dennoch sind Umweltschutz oder gar Müllvermeidung hier wie auch sonst überall in Südeuropa noch weitgehend unbekannte Begriffe. Der Umweltschutzgedanke manifestiert sich bestenfalls in den mahnenden Aufdrucken auf den Plastiktüten, die am Straßenrand verrotten. Doch wir mögen den überschaubaren Ort und auch die kleine Insel, die wir leicht an einem guten halben Tag mit dem Fahrrad erkunden. Die westliche Hälfte Favignanas ist bergig, die Ostseite dagegen flach und durchzogen von ausgedehnten Tuffsteinbrüchen, bizarren, von Menschenhand geschaffenen Krater- und Höhlenlandschaften. Hin und wieder entdecken wir darin sogar karge Behausungen! Wer dort wohl leben mag?


Bizarrer Tuffstein auf der Insel Favignana

In letzter Zeit ist das einzig konstante am Wetter, daß es sich meist anders entwickelt als vorhergesagt. Seit zwei Tagen liegen wir nun mit Sturmwarnung im Hafen, doch tatsächlich hat es nur Windstärke 2. Wir haben genug gesehen vom Stadtleben, wollen wieder ankern. Vorhersage Südost 3 bis 4, das ist okay für unsere Pläne. Wir verabreden uns mit Gianni und seiner Crew in der Cala Rotonda, die nur nach Westen offen ist, und segeln los. In der Bucht ankert ein einsames Segelschiff, das französische Eignerpaar haben wir vor Kurzem in Palermo kennengelernt. Sie sind am Anfang ihrer Weltumsegelung. Bald kommen auch "unsere" Italiener, und mit drei Schiffen ist die Bucht voll. Das Wasser ist kristallklar, Schwimmen und Schnorcheln ist ein Vergnügen. Am Spätnachmittag bezieht sich der Himmel mit einer Dunstschicht, er ist nicht bewölkt aber auch nicht klar. Die Sonne ist nur zu ahnen. Später wird das Licht milchig weiß, dann bleigrau. Eine gespenstische Atmosphäre. Nach dem Abendessen rudern wir rüber zu den Italienern auf einen Plausch. Die erste Nacht ist herrlich ruhig.


Das letzte Bad im Meer für diese Saison

Die zweite Nacht nicht. Gegen Mitternacht wird es windig, Böen fallen ein, es rüttelt und pfeift in den Wanten, Schwell läuft in die Bucht. Wir drei Ankerlieger schwojen unruhig hin und her. Unvermittelt finden wir uns in der Lage derjenigen, die "etwas nahe" am französischen Nachbarn liegen. Immer wieder gehen unsere beiden Schiffe auf Gegenkurs und drehen erst im letzten Augenblick ab. Wir gehen Ankerwache im Zweistundenrythmus. Am Morgen sehen wir, daß sich die Wellen in der Einfahrt brechen, sehr beeindruckend...! Sollte der Wind weiter auf West drehen, sitzen wir in der Falle. Doch an auslaufen ist so nicht zu denken.


Gale, Burrasche, Starkwind
- hört sich in keiner Sprache gut an.

"Gale", "Burrasche", "Starkwind" - dieser Wortschatz ist uns schon in Fleisch und Blut übergegangen. Langsam reicht es. Schließlich sind wir Schönwettersegler! Wir blättern in einem Buch über die griechischen Inseln im ionischen Meer. Zitat: "Das Wetter gibt selten Anlaß zur Beunruhigung." Und: "Nachts kann die Crew ohne Ankerängste ruhig schlafen." Damit spricht der Autor unsere tiefsten Sehnsüchte an! Das Ziel des nächsten Jahres wird greifbar!

Am Nachmittag flaut der Wind ab auf Stärke 4 bis 5, die Brecher werden seltener. Darauf haben wir gewartet. Wir raffen unseren Mut zusammen, geben Vollgas und gehen durch. Nach einigen kräftigen Schüttlern sind wir auf See und pflügen mit drittem Reff in Groß und Vorsegel mit Rumpfgeschwindigkeit gen Trapani.

Hier liegen wir nun in der Werft, machen Coco winterfest und erdulden die kulinarischen Errungenschaften - siehe oben.


Coco "high and dry" in der Werft in Trapani


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