Übersicht 2002 | zurück | weiter |

Kalabrien-Apulien-Griechenland / August 2002

Aufbruch zu neuen Gestaden

Nach vier Tagen stabiler Seitenlage am Capo Tindari nimmt der Wind tatsächlich wieder ab. Fast wäre diese Sanddüne zu unserer zweiten Heimat geworden. Wir wollten schon die Standheizung checken, falls der Winter kommt. Apropos, die Temperaturen der letzten Tage sind auch eher deutsch als mediterran. Lange Hosen sind angesagt. Was Herta aber nicht hindert, des Nächtens beim Dingistart vom Strand aus über einen Brecher ins kühle Nass zu "springen". Voll bekleidet, das macht sie doch sonst nicht!? Als ihr Gesicht aus den Fluten wieder auftaucht, glaube ich ein gefährliches Blitzen in ihren Augen zu sehen. Den Lacher hätte ich mir wohl besser verkniffen...

Als der Sturmwind also nun endlich abflaut, nutzen wir sofort die Möglichkeit zum Aufbruch. Wir segeln ostwärts entlang der sizilianischen Nordküste, dann südwärts durch die Strasse von Messina. Wir haben Glück, auch diesmal wieder schiebt uns ein Strom mit gut 4 Knoten vorwärts, in der richtigen Richtung, so dass wir mit 11 Knoten über Grund durch die Enge brausen! Das ist nahezu doppelte Marschfahrt! Doch diesmal sind wir auf den Geschwindigkeitsrausch vorbereitet, und so können wir außer auf die Strömungen und Strudel auch noch auf die Fähren und die Boote der Schwertfischfänger achten, die - mit zwei Mann im zwanzig Meter hohen Ausguck - an der Wasseroberfläche schlafende Schwertfische harpunieren.


Schwertfischjäger in der Strasse von Messina

Kaum in ionischen Gewässern, brist es auch schon wieder kräftig auf. Das ist aber wohl eher dem Düseneffekt der Meerenge zuzuschreiben als der Gesamtwetterlage. Wie auch immer, die Brise peitscht uns zusammen mit entzückenden weißen Schaumkrönchen unserem Tagesziel entgegen, der Hafenstadt Reggio Calabria. Viel gibt es zu diesem Hafen nicht zu sagen, außer vielleicht, dass uns genau in der engen Einfahrt ein dickes maltesisches Fährschiff entgegenkommt, und dass ich vor lauter Schreck darüber beim Anlegemanöver vergesse, die Fender rauszuhängen. Doch heute muß unser Glückstag sein, es gibt keine Schramme! Herta steht am Steuer, und wie immer manövriert sie Coco butterweich und zielgenau auf Mittellinie in die Box, den häßlichen 20 Knoten Seitenwind zum Trotz.

In der Mafia-Hochburg Reggio bunkern wir nochmal kräftig für die bevorstehenden, in kulinarischer Hinsicht vermeintlich schweren Zeiten in Griechenland: Schinken, Wurst, Salami, Käse, und natürlich viel, viel Vino.


Letzter Blick zurück auf den Ätna

Bis nach Korfu liegen nun ein paar lange Tagesetappen entlang der Stiefelsohle vor uns. Bei kräftigem Rückenwind geht's am nächsten Tag los. Der Gipfel des Ätna grüßt letztmals über die Wolken herüber. Kaum haben wir den Einflußbereich der Messinastrasse verlassen und runden Capo d'Armi, die "Zehenspitze" des Stiefels, ist auch schon der kräftige 6er-Wind, der uns die letzten zwei Stunden vorwärtsgejagt hat, weg. Zack, einfach so. Wie ausgeschaltet. So laufen wir denn die nächsten Stunden in totaler Flaute unter Maschine nordostwärts, vorbei an der Marina Saline Ioniche, die mitsamt ihren enormen Wellenbrechern bereits wieder versandet ist. Auf der Düne, die die Einfahrt vollständig versperrt, bauen Kinder Sandburgen, und italienische Schönheiten räkeln sich unter Sonnenschirmen. Da wurde EU-Geld im wahrsten Wortsinn in den Sand gesetzt. Nun, diese Tatsache zwingt dem Segler einen Schlag von etwa sechzig Meilen auf, bis zum nächsten Hafen Roccella. Kilometerlange Sandstrände ziehen an Backbord vorbei, meist menschenleer. Dahinter steigen wie geschwungene Mauern in mehreren Stufen die Bergmassive des Aspromonte in die Höhe, des südlichsten Gebirges der italienischen Halbinsel. Die Beton- und Plattenbauweise der vereinzelten Ortschaften am Küstenstreifen deutet darauf hin, dass diese alle neueren Datums sind. Die alten Orte oder Ortsteile wurden wegen der in früheren Zeiten häufigen Überfälle oben im sicheren Schutz der Berge angelegt. In einigen dieser abgelegenen Bergdörfer soll noch heute griechisch gesprochen werden, behauptet jedenfalls unser Polyglott.


Sandburgen in der Hafeneinfahrt von Saline Ioniche

Gegen Abend nähern wir uns dem Hafen von Roccella Ionica. Drei Meilen vor der Einfahrt, wir beobachten gerade einen Schwarm Delfine in der Ferne, macht es leise "Pschhhh...!" und da ist er wieder, der Wind. Wie angeknipst. Und so laufen wir mit kräftiger Lage durch schon wieder brechenden Kämme auf die trickreiche Hafeneinfahrt zu. Glücklicherweise waren wir vorgewarnt, und so bleibt uns das Schicksal einer anderen Yacht erspart, die (durchaus verständlich) meinte, geradeaus durch die Einfahrt sei der richtige, weil allgemein übliche Weg, und die daraufhin von der Sandbank, auf die sie aufgelaufen war, Notraketen abfeuern mußte, um nicht gegen die Wellenbrecher gespült zu werden. Wir jedenfalls halten uns an unsere Hinweise, steuern zielstrebig auf den Strand zu, und erst, als die ersten Badegäste schon furchtsam ihre Handtücher ergreifen, drehen wir ab und steuern - quasi von hinten - in die Einfahrt. Tja, muss man eben wissen...

Großes Hallo, als wir einlaufen: "alte Bekannte" aus Trapani liegen hier! Coco ist noch nicht richtig festgemacht, da zischen schon die ersten Bierkapseln. Der Begrüßungsschluck geht nahtlos in ein Abendessen in der nahe gelegenen Pizzeria über, ein engliches Seglerpärchen gesellt sich noch dazu, die - wie sich herausstellt - wiederum alte Bekannte aus Palma kennen... Die Seglerwelt ist klein, die Geschichten umso größer!

An den Stegen der Marina hat sich eine kleine Seglergemeinde bequem eingerichtet, und alle nutzen den großen Vorteil dieses Hafens: er ist kostenlos! Die Arbeiten ruhen weitgehend, das Marinabüro hat seinen Betrieb noch nicht aufgenommen. Man liegt perfekt an nagelneuen Schwimmstegen. Sogar Wasseranschluß gibt es, wenn auch keinen Strom. Der ideale Platz zum Ausruhen, Verschnaufen, oder auch für kleinere Arbeiten am Boot, wie Relingstützen polieren und dergleichen. Doch trotz der schönen Atmosphäre, ewig wollen wir hier auch nicht bleiben. Als wir am dritten Morgen aus den Luken schauen und endlich mal keine Regenwolken sehen, brechen wir unverzüglich die Zelte ab. Weiter geht es, mit siebzig Meilen wieder eine lange Tagesetappe, quer über den berüchtigten Golfo de Squillace. Nach gut zehn Stunden mit ständig drohenden, dunklen Wolkengebirgen an Backbord und "Securité"-Sturmwarnungen auf Funk liegt schließlich die Hafenstadt Crotone vor uns. Wir segeln an Gasbohrinseln vorbei, die wie stählerne Monster von einem anderen Stern im Meer stehen. Die Überfahrt war insgesamt ruhig, und wieder mal haben wir erlebt, dass die Unruhe in Erwartung eines Unwetters stärker an den Nerven zerrt als ein Unwetter selbst, wenn es einen mal erwischt.


Crotone mit Hafen

Wieder bleiben wir - ungeplant - zwei Tage. Der Ort hat eine recht hübsche Altstadt mit einem mächtigen Kastell. In den Gassen der Altstadt duftet es frühlingsfrisch, es ist Waschtag, an den kreuz und quer gespannten Leinen flattert bunte Wäsche. Auch wir nutzen die Gelegenheit und lassen nochmal Wäsche waschen. Des Abends pflegen wir dann an Bord, bei Spaghetti mit frischen Vongole vom Fischmarkt, unsere Vorfreude auf die Ionischen Inseln, indem wir unseren "Kleinoth" ausgiebig studieren, das Buch mit Luftaufnahmen der griechischen Inselwelt. Die Bilder sind Seglers Traum, wir können es kaum noch erwarten!

Rund achtzig Meilen quer über den Golf von Taranto liegen noch vor uns, dann sind wir in Santa Maria Leuca, dem "Absprunghafen" nach Korfu. Um 0600 heisst es also "Leinen los", und wir segeln wieder der aufgehenden Sonne entgegen. Gut zwölf Stunden später, mit der untergehenden Sonne im Rücken, laufen wir in Leuca ein. Wir haben mal wieder unseren sparsamen Tag und legen uns längsseits an die Fischermole. Das Glück ist uns hold, keiner jagt uns weg. Und so verbringen wir die letzte italienische Nacht kostenlos und sicher zwischen den großen Fischerbooten, direkt gegenüber der Marina, wo die Yachten gegen teures Geld unruhig im Schwell auf und ab tanzen dürfen, den es zur Hafeneinfahrt hereindrückt. Schadenfreude ist doch immer wieder die schönste Freude...

Am nächsten Morgen heisst es dann: Start zu den griechischen Inseln!! Ein letzter, etwas wehmütiger Blick zurück nach Italien, und als das Festland im Dunst verschwindet, holen wir die italienische Flagge ein und setzen die griechische Gastlandflagge unter der Steuerbordsaling.


Ab sofort weht die griechische Flagge unter der Saling

Ein schöner Südwind füllt unsere Segel und schiebt uns mit angenehmer Fahrt gen Korfu. Besser gesagt, gen Othonoi. Diese winzige Insel liegt nordwestlich von Korfu, und sie soll unser erstes Ziel sein. Die kleine Südbucht vor dem einzigen Ort kommt wegen des heutigen Südwinds freilich nicht in Frage, und so legen wir Ruder Richtung Nordküste. Von der wissen wir lediglich, dass es dort eine weitläufige Einbuchtung gibt, ansonsten schweigen unsere Handbücher dazu. Auf der "weltabgewandten" Seite der Insel empfängt uns eine weite, halbmondförmige Bucht, umrahmt von grün bewaldeten Hügeln, rundum Nadelbäume, davor teils schwer zugänglicher Fels- und Kiesstrand. So etwa stellen wir uns die einsame, kanadische Wildnis vor. Das spiegelglatte Wasser in dieser wildromantischen Bucht ist kristallklar, wir sehen jeden Felsen und jeden Stein auf dem Grund. Glücklicherweise im letzten Moment auch den, der da heimtückisch versucht, uns den direkten Weg zum Ankerplatz zu versperren. Von dieser Sorte gibt es hier mehrere, also ist vorsichtige Navigation per Auge gefordert. Letztlich liegt der Anker aber perfekt verkeilt in einer Spalte, da kann nichts ausreißen. Ob wir ihn morgen wieder rauskriegen, ist freilich eine andere Frage...


Kristallwasser vor Nisos Othonoi

Die gesamte Adria liegt uns nun gewissermaßen zu Füßen, wir haben freien Blick bis nach Venedig, jedenfalls theoretisch. Praktisch erahnen wir im Osten die Massive der albanischen Berge, die hin und wieder zwischen dem Wolkenvorhang hervorlugen. Coco wiegt sich sanft im Rythmus der Dünung. Als die Sonne hinter dem hohen Bergrücken der Insel im Westen versinkt, verschwindet der Horizont, Himmel und Meer fließen übergangslos ineinander, und bald sind wir eingehüllt in eine stahlgraue watteweiche Düsternis, schweben förmlich im Nichts. Absolute Ruhe, kein Geräusch stört den tiefen Frieden. Ein seltenes, unwirkliches Gefühl.

Der nächste Tag bringt eine weitere freudige Überraschung. Nur zehn Seemeilen weiter - unsere kürzeste Etappe seit zwei Monaten! - liegt ein weiteres Mini-Inselchen, Erikoussa. Das nächste Paradies! Goldgelber Sandstrand, karibisch klares Wasser, Palmen, Zypressen, Laubbäume, ein, zwei Tavernen. Nur drei Yachten leuchten uns in der Morgensonne entgegen, was für ein Kontrast zu den überfüllten Plätzen der letzten Zeit! Was hindert uns, gleich zwei Tage zu bleiben...? So schön war Schwimmen und Schnorcheln in diesem Jahr noch nirgends!

Wenn das so weitergeht, wird das hier unser "Heimatrevier"!

Karibikfeeling auf Erikoussa

Übersicht 2002 | zurück | weiter |